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Vom Bubikopf zur Dauerwelle

05.02.2007, 15:02

Vom Bubikopf zur Dauerwelle: Selbst- und Fremdbilder sowjetischer ?Nachthexen? (1)

Carmen Scheide, Basel

In der Roten Armee kaempften wahrend des Zweiten Weltkriegs, der in der Sowjetunion und im heutigen Russland ?Grosser Vaterlaendischer Krieg? genannt wird, etwa eine Million Frauen (2). Dieser Masseneinsatz von weiblichen Soldaten war damals international eine Neuheit, allerdings fehlen bis heute genauere Untersuchungen zu speziellen Vorschriften fuer Frauen, ueber ihre Taetigkeiten, Einsatztruppen oder Einheiten (3).

Die Mobilisierung von Frauen war nicht der Regelfall, sondern angesichts der enormen Verluste 1941/42 eine militaerische Notwendigkeit, wenngleich sich bereits vor dem Krieg und in den ersten Kriegstagen junge Madchen freiwillig fuer die Rote Armee meldeten (4). Unmittelbar nach Kriegsende, im Fruehsommer 1945, wurden die meisten demobilisiert, waehrend maennliche Soldaten oft noch laenger durch die Armee alimentiert wurden. Die Historikerin Beate Fieseler sieht in einer Aeusserung des damaligen Staatspraesidenten Michail Kalinin, der ehemaligen Frontkaempferinnen den Rat erteilte, ueber ihre Erfahrungen zu schweigen, den Beginn der offiziellen Ignoranz gegenueber diesen Kriegsteilnehmerinnen. In sowjetischen Geschichtsdarstellungen kamen sie fast nicht vor (5). Nach Meinung vieler Zeitgenossen galten Soldatinnen als Prostituierte, die im Vergleich zum entbehrungsreichen Leben der Frauen im Hinterland keine Versorgungsprobleme und keine ?Fraueneinsamkeit? kannten (6). Umgangssprachlich hiessen sie abwertend ?PPZ: pochodno-polevaja ?ena = Feldmarsch-Ehefrau?, eine Anspielung auf Maschinengewehre, die auch PPD oder PPS hiessen.

Unter der reichhaltigen Erinnerungsliteratur von sowjetischen Kriegsteilnehmern finden sich auch verschiedene Publikationen von Frauen, Sammelbande ueber ?Heldinnen? (7) und seit den 1960er Jahren vereinzelte Monographien (8). In den Schilderungen standen vor allem der Beitrag zum errungenen Sieg und der bedingungslose Patriotismus im Mittelpunkt. Konfliktreiche Themen wie Diskriminierungen als Frau, sexuelle Belaestigungen, Vergewaltigungen oder massive gesundheitliche Probleme, die Teil des Frontalltages waren, blieben ein Tabu. Erst das in den 1980er Jahren erschienene Buch der weissrussischen Journalistin Svetlana Aleksievic, das den programmatischen Titel ?Der Krieg hat kein weibliches Gesicht? tragt, dokumentierte kritische Stimmen und problematische Erinnerungen von Frauen (9). In den erwaehnten Texten tauchen bereits unterschiedliche, kontraere Bilder ueber Frauen in der Roten Armee auf, die auf vielschichtige Identitaetskonstruktionen, Erinnerungsformen und Erzaehlmuster verweisen. Fotografien von Frontteilnehmerinnen und Plakate repraesentieren eine weitere Bildebene. Diese visuellen Quellen wirken zunaechst wie eindeutig lesbare Abbildungen, beinhalten aber auch verschiedene Sinnangebote, Inszenierungen und Rezeptionszusammenhange.

Die Charakteristik von Fotografie bezeichnet Pierre Bourdieu als ?Technik der Sinnestauschungen?: ?Sie halt nicht die Wirklichkeit fest, wie irrtuemlich angenommen, sondern halt Aspekte der Realitaet fest? (10). Das Sichtbare sei das Lesbare, der Betrachter oder die Betrachterin uebertragen ihr System von Regeln, ihre so genannten Leseschablonen jeweils auf die Photographie (11).

In den letzten Jahren sind zahlreiche Publikationen zur so genannten Historischen Bildkunde erschienen, die alle von einer Bilderflut und ihrer Massenwirksamkeit durch moderne Reproduktionstechniken ausgehen (12). Fuer Kulturwissenschaftler stellt sich die Frage, wie Bilder interpretiert werden koennen, welchen Quellenwert sie haben und in welchem sozialhistorischen Kontext sie stehen.
In Bezug auf Erinnerungen bezeichnet Alf Ludtke historische Fotos als ?sogenannte Tueroffner? (13). Da sie keine Erfahrungen oder historischen Prozesse vermitteln wurden, sei es methodisch wichtig, zu ihrer Interpretation schriftliche Quellen zum Ereignis hinzuzuziehen oder sie mit anderen Bildern zu vergleichen. Grundsaetzlich unterscheidet Ludtke professionelle Fotografien und Schnappschusse von Knipsern (14). Auf die Bedeutung von Bildern fuer das Erinnern weist auch Harald Welzer hin: ?Fuer kollektive wie individuelle Geschichte gilt in gleichem Masse, dass eine Erinnerung ohne Anschauung konturenlos und abstrakt bleibt wie eine Grammatik ohne dazugehoerige Sprache. Das Gedaechtnis braucht die Bilder, an die sich die Geschichte als eine erinner- und erzaehlbare knuepft, und es gibt zwar Bilder ohne Geschichte, aber keine Geschichte ohne Bilder? (15).

Bilder sind im Kontext ihrer Entstehung, als Zeichen, Symbole, Inszenierungen und Rituale zu verstehen, die durch ihre Reproduktion oder ihr nicht Vorhandensein bereits Erinnerungen beeinflussen. Am Beispiel des Nationalsozialismus zeigt Welzer die langfristige Wirkungsmacht der damals sorgfaltig geplanten Praesentationen von Herrschaft, etwa durch Massenveranstaltungen oder Massenkommunikationsmittel, darunter auch Kinofilme, auf. (16) Um nicht die damaligen Deutungen und Setzungen ungebrochen zu uebernehmen, muss die Bedeutung der Bilder fuer unser Verstaendnis der Vergangenheit analysiert werden. Dieser Ansatz kann meines Erachtens produktiv auf die Ikonographie der Sowjetunion uebertragen werden, indem aesthetische Traditionen aufgezeigt werden oder wir untersuchen, in wieweit Erinnerungsluecken oder kritische Geschichtsdiskurse mit einem Bilderverbot oder Bildermangel zusammen hangen.(17) Die Bedeutung von Bildern als Symbole fuer politische, soziale und kulturelle Diskurse scheint unbestritten, weshalb sie eine wichtige analytische Kategorie fuer historische Forschungen bilden.

Heidemarie Uhl beschaeftigt sich ebenfalls mit dem Verhaeltnis von visuellen Medien und Erinnerung. Eine erste Studie ueber das oesterreichische zeitgeschichtliche Bildgedaechtnis liegt bereits vor. (18) Durch die visuelle Ueberschreibung und inhaltliche Erneuerung spezifischer Bildmotive werden hier unangenehme Erinnerungen aus dem kulturellen Gedaechtnis verdraengt.

Diese kurzen Ausfuehrungen verweisen bereits auf die Bedeutung von Bildern, die als Quelle spezifische Aspekte, Kontroversen, Haltungen oder Fragen thematisieren, die in Memoiren nur marginal behandelt oder ausgeblendet werden. In der vorliegenden Studie habe ich zunaechst verschiedene Bilder von sowjetischen Frauen wahrend der Kriegszeit und in den Nachkriegsjahren aus unterschiedlichen Publikationen zusammen getragen. Haeufig werden Mitglieder des rein weiblichen Fliegerregimentes (19) abgebildet. Da diese militaerische Einheit aus einer definierbaren Personengruppe besteht, die als soziale Gruppe bis heute existiert, habe ich Fotos von ihnen fuer die nachfolgenden Interpretationen ausgewaehlt. (20) Die Entstehung der Bilder, ihre Fotografen, genaue Datierungen und Fundorte sind mir bislang weitgehend unbekannt. (21)

Ich gehe davon aus, dass alle genannten Bilder Bestandteil von kollektiven und individuellen Erinnerungen an den Krieg sind. Die ausgewaehlten Abbildungen von sowjetischen Fliegerinnen betrachte ich unter Hinzuziehung von publizierten Erinnerungstexten, Selbstzeugnissen und Archivalien in Hinblick auf Selbst- und Fremdwahrnehmungen. Es ist ein Versuch, die Wirkungsmacht eines sowjetischen Bildgedaechtnisses, eines ikonographischen Kanons zu analysieren. (22) Dadurch eroeffnen sich allgemein Perspektiven auf individuelle Handlungsstrategien im Umgang mit offiziellen Geschichtsbildern und eigenen Erfahrungen, Erinnerungsmuster und ?prozesse, sowie auf Geschlechterverhaeltnisse in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Meine Arbeitsthese lautet, dass die Wahrnehmung von Kampf, Krieg, Militaer oder Heldentum als normale maennliche Angelegenheit, in der eine soldatische Weiblichkeit eine Ausnahme darstellt, auch stark auf visuellen Medien der Erinnerung wie Filmen, Denkmalern, Gemaelden und Fotografien beruht, die in einer spezifischen kulturellen ikonographischen Tradition stehen, aber auch auf Gedaechtnisbildern und sozialen Normen. Eine ?traditionelle? Geschlechterordnung wird performativ staendig erneuert, druckt sich besonders in Koerperinszenierungen, also Kleidung und Frisuren aus.

Auf den beiden Fotos ist jeweils die Fliegerin Marina Pavlovna Chechneva abgebildet, die von 1922 bis 1992 lebte und fuer ihre zahlreichen Einsatze als Kampffliegerin wahrend des Krieges mehrfach ausgezeichnet wurde. Bereits mit 15 Jahren hatte sie sich, angesteckt von der Euphorie weiblicher Langstreckenfluge in den 1930er Jahren, freiwillig zu einer paramilitaerischen Fliegerinnenausbildung gemeldet, musste jedoch noch etwas warten, bis sie dafuer alt genug war.

Chechneva gehoerte zu einem rein weiblichen Nachtbomberregiment, das 1943 die hohe Auszeichnung als Garderegiment erhielt, und dessen Geschichte relativ gut dokumentiert ist. (23) Diese Frauen flogen in einfachen, offenen Leichtflugzeugen aus Holz nachts im Tiefflug ueber feindliche Gebiete und warfen dabei zahlreiche Bomben ab. Von deutschen Wehrmachtsangehoerigen erhielten sie deswegen den Namen ?Nachthexen?, den sie als Selbstbezeichnung teilweise uebernahmen. Was ist auf den Fotos zu sehen?

Das linke Bild zeigt Chechneva mit kurzen Haaren in Uniform wahrend des Krieges. Sie blickt unmittelbar in die Kamera und laechelt zaghaft. Das rechte Portraitfoto stammt vermutlich aus den Nachkriegsjahren. Zwei Identitaeten werden auf diesem rechten Foto deutlich inszeniert: Weibliche Geschlechtszugehoerigkeit durch Dauerwelle, Augen-Make up, gezupfte Brauen und Lippenstift sowie militaerisches Heldentum durch Uniform, Orden und Auszeichnungen. Der Blick ist ernst und schweift am Bildbetrachter vorbei in die Ferne.

Portraitfotos dieser Art gibt es massenhaft in biographischen Lexika oder Nachschlagewerken, die vermutlich professionell dafuer arrangiert und in Studios von Berufsfotografen produziert wurden. Die Abbildung jeweils einer Person scheint im Kontext von Enzyklopaedien zu den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs den einzelnen Menschen hervorzuheben, der zudem mit Namen und Lebensdaten genannt wird. Wer die Person kannte, wird durch die Abbildung an sie erinnert. (24) Jedoch ist das Genre Portraitfoto von Kriegsteilnehmern sehr stereotyp und standardisiert, da fast alle Fotos retouchiert zu sein scheinen, die Portraitierten fast immer in Uniform zeigen und keine Hinweise auf individuelle Dinge zulassen (Fehlen von Schmuck, eigener Kleidung, speziellem Hintergrund, Accessoires, sogar keine Zugehoerigkeit zu bestimmten Verbanden oder Einheiten erkennbar). Durch den Versuch einer optimalen oeffentlichen Praesentation findet eine ?visuelle Homogenisierung? der Kriegsteilnehmer statt, die das ideologische Postulat von geschlossener Kampfeskraft und gemeinsamen Sieg symbolisieren konnte. Die Beschrankung auf das Portrait blendet den soldatischen Koerper und somit eine moegliche Invaliditaet aus. (25) Die Fotos symbolisieren Normalitaet und vermeiden konflikthafte Themen.

Pierre Bourdieu hat das Genre Portraitfoto unter den Aspekten Selbstinszenierung und soziale Positionierung fuer die baeuerliche Gesellschaft um die Jahrhundertwende untersucht. Seine UEberlegungen scheinen mir ueber seine untersuchte soziale Gruppe hinaus auch fuer andere Gesellschaften gueltig zu sein. Er sieht einen Kommunikationsprozess zwischen Foto und Betrachter, in dem Normen definiert und ausgetauscht werden. Die Inszenierung eines ehrenhaften und wuerdigen Bildes verweist auf eine Konvention der Hoeflichkeit und des Anstandes, auf gegenseitige Ehrerbietung, aber auch auf staendige soziale Kontrolle. (26)

?Das Portraet ist die Objektivierung des Selbstbildes. Es markiert die Grenze der Beziehung zur Aussenwelt. (...) Da sein [ der Bauer, CS] Koerper ihn verlegen macht, verhalt er sich linkisch und unbeholfen in Situationen, die verlangen, dass man ?aus sich herausgeht? und seinen Koerper zur Schau stellt, z.B. beim Tanz oder vor dem Kameraobjektiv. So scheint in der strengen Betrachtung des Frontalitaetsprinzips und einer ganz und gar konventionellen Haltung die Kontrolle ueber die Objektivierung des eigenen Bildes gewaehrleistet zu sein. Die axiale und dem Frontalitaetsprinzip folgende Komposition erzeugt einen Eindruck, der deutlich lesbar ist, der jedem Missverstaendnis vorbeugt, und sei es unter Preisgabe der ?Natuerlichkeit?. (...) Wer dem ins Gesicht blickt, der ihn ansieht (oder photographiert), wer dabei ?Haltung annimmt?, der gibt sich dem Betrachter gegenueber so, wie er wahrgenommen werden will, er gibt ein Bild von sich selbst. Kurz, wer vor einem Blick, der die Erscheinungen fixiert und immobilisiert, eine hoechst zeremonielle Pose einnimmt, der verringert das Risiko, sich unbeholfen und linkisch zu zeigen: Er liefert den anderen ein gestelltes, d.h. ein vorab definiertes Bild von sich selbst. (...) Ein geregeltes Bild von sich zu vermitteln ist eine Moeglichkeit, die Regeln der Selbstwahrnehmung draussen durchzusetzen. Der Konventionalismus der Pose vor der Kamera verweist auf den Stil der Kommunikation, den eine ebenso hierarchische wie statische Gesellschaft bevorzugt, (...).? (27)

Offizielle Fotos von Frauen symbolisieren ihre Geschlechtszugehoerigkeit durch Kleidung und Frisuren, wenngleich Soldatinnen oftmals maennliche Uniformen tragen mussten, da es bis 1942 keine spezielle Kleidung fuer Frauen in der Armee gab und Rocke fuer den Fronteinsatz unpraktisch waren. Der wahrend der Kriegsjahre typische ?Bubikopf?, eine Kurzhaarfrisur, die entweder aus hygienischen Gruenden oder als Vorschrift getragen werden musste, verschwindet als ?unweiblich? mit Kriegsende, was auf den gezeigten Bildern sehr deutlich wird.

In Bezug auf die Frisuren in der Armee gibt es sehr unterschiedliche Aussagen: einige Frauen wollten maennlich wirken und liessen sich deshalb die Haare kurz schneiden, anderen wurden die Zopfe zwangsweise abgeschnitten, worunter sie sehr litten. Allgemein waren Schmuck und Schminke fuer Angehoerige der Roten Armee verboten, was sich erst in den letzten Kriegsjahren lockerte. Einige Frauen berichteten, sie hatten sich nach weiblichen Frisuren gesehnt, da sie die Vermaennlichung nicht mehr langer aushalten konnten.

Dies betrifft vor allem aeussere Geschlechtssymbole. Biologische Merkmale eines weiblichen Organismus wie Monatsblutungen oder Schwangerschaften waren ein Tabu, ueber das vereinzelt nur in dem Buch von Svetlana Aleksievich nachzulesen ist. Durch die grossen koerperlichen Strapazen hatten viele Frauen hormonelle Probleme, die zu einem Ausbleiben der Regel fuehrten, bei manchen sogar bis zur Unfruchtbarkeit, was angesichts der Normalitaet von Mutterschaft in der sowjetischen Gesellschaft sicherlich eine schlimme persoenliche Kriegsfolge war. Aber wie bereits erwaehnt waren diese privaten Fragen ein Tabu, ueber das man nicht sprach. Das Zeigen von koerperlicher Integritaet, Reinheit und Ordnung war spaetestens seit den 1930er Jahren ein Muss fuer Sowjetbuerger und -buergerinnen. In der Tradition des ?Neuen Menschen? waren strahlende Helden ein Abbild stalinistischer Gesellschaftsentwurfe, was sich auch bei der Kriegsfotografie, die ein Mittel der Propaganda war, zum Kriegsende zunehmend durchsetzte.

Ordentliches weibliches Aussehen wird zunehmend wichtig und in Szene gesetzt. Wahrend Fotos aus den Kriegsjahren die ?maennlichen? Soldatinnen zeigen, tragen die Fliegerinnen fuer die Teilnahme an der Siegesparade in Moskau Rocke und Dauerwellen.

Welche Selbstbilder erinnerten aber die Fliegerinnen? Stimmten sie mit offiziellen Bildern ueberein, gab es abweichende Bilder? Und in welchem Rahmen konnte darueber gesprochen werden? Gardeleutnant und Kopilotin Aleksandra Semjonova Popova erzahlt ueber Geschlechtersymbole: ?Wir trugen Lederjacke, Hose, Feldblusen, im Winter noch eine Pelzjacke. Unwillkuerlich bekam unser Gang, unsere Bewegungen etwas Maennliches. Als der Krieg aus war, bekamen wir Khakikleider geschneidert. Da spurten wir ploetzlich, dass wir Madchen waren...? (28)

Die ehemalige Fliegerin Irina Rakobol?skaja beschreibt in ihren 2005 erschienenen Memoiren ebenfalls einen Wandel zur Weiblichkeit bei Kriegsende: ?Langsam aenderte sich unsere Beziehung zur Umgebung und zu uns selber: wir begannen mit Manikuere und Frisuren, verschoenerten unsere Unterkunft, legten Bettvorleger vor die Betten, Kissen, blaue Kopfschuetzer. Durch einen Erla. fuer die Einheit wurde uns gestattet, sich zum Feiertag zivil zu kleiden, was die verliebten Madchen und das Einheitskommando ernst nahmen, menschlich?. (29)

Hier haben wir wieder den Wandel von der maennlichen Soldatin zur weiblichen Armeeangehoerigen, der durch die ausgewaehlten Bilder gezeigt wird. Auch Marina Pavlovna Chechneva trug maennliche Kleidung und kurze Haare, die ihr so gut standen, dass sie von Kameradinnen mit der maennlichen Namensform ?Andrjushka? gerufen wurde. An ihrem 20. Geburtstag, also 1942, habe sie zum ersten Mal ein Kleid angehabt, ansonsten hatten sie alle immer fuer einen jungen Burschen gehalten. (30) Die Betonung von Maennlichkeit ist hier nicht negativ gemeint, sondern wird im Kontext mit Mut, Pflichterfuellung, typischem Soldatentum, Heldenhaftigkeit und Abenteuerlist konnotiert und ist Norm setzend fuer die Kriegsjahre. Das russische Wort dafuer heisst mugestvo (мужество), was etymologisch auf den Wortstamm mug; zurueck geht, einer Bezeichnung fuer Mann. Mutig und mannhaft sind sprachlich eng verwandt in der russischen Sprache. Fuer soldatische Weiblichkeit bestand keine Benennung oder Erzahltradition, wenngleich es bereits im Ersten Weltkrieg russische Soldatinnen gab (aber dafuer keine Bildtradition). Obwohl Stalin in der Verfassung von 1936 die Gleichheit von Frauen mit Maennern festschrieb und weibliche Soldaten auch als Errungenschaft hatten gewertet werden koennen, stellten sie eher eine kriegsbedingte Notwendigkeit dar. Trotz Grenzueberschreitungen von Frauen im Krieg, das Eindringen in maennliche Raume und die Uebernahme maennlicher Rollen und Funktionen, auch im zivilen Bereich, fuehrte dies nicht zu veraenderten Rollenzuschreibungen. Die traditionelle Geschlechterhierarchie maennlich/weiblich wurde durch solche Bilddiskurse zu Kriegsende und in den Erinnerungen wieder hergestellt und als Norm postuliert.

Das auf dem Bild von E. Rjabova mit Ehemann und Tochter (undatiert, um 1950) gezeigte Familienidyll repraesentiert eine Geschlechterhierarchie in den Nachkriegsjahren, die auch durch Kleidung, Dekoration und die Anordnung der Personen als Gruppe umgesetzt wird: die ehemalige Fliegerin, die Heldin der Sowjetunion war, hat einen kleinen, bescheidenen Orden an der Kuchenschurze, sie wird vor allem als Ehefrau und Mutter gezeigt. Der Mann dagegen ist Militaer und Kriegsheld, der schuetzend auf sein Kind schaut. Die Fotografie steht in einer ikonographischen Tradition, die in den 1930er Jahren begruendet wurde.31 Familie erscheint als stabile soziale Ordnungseinheit, in der der fuersorgliche Mann einen militaerischen Rang durch die Uniform ausdruckt, zudem auch Erzieher und Beschuetzer zu sein scheint, wahrend die Frau auf die Mutterrolle, auf eine ?natuerliche? Funktion beschrankt bleibt. Das Fehlen von Maennern in den Nachkriegsjahren und die Zerstoerung von Familien durch den Krieg spiegeln sich in dem Familienfoto der Fliegerin nicht wieder, die vielleicht voller Stolz eine bestehende Kleinfamilie zeigt.

Auf weiteren Bildern aus den Nachkriegsjahren passten sich die ehemaligen Fliegerinnen an geltende Normen an, was ich als eine performative Handlung bewerte, Zugehoerigkeit zur Sowjetgesellschaft zu demonstrieren. Erst von diesem Status einer kultivierten Sowjetfrau (kul?turnaja gentschina) aus war es ihnen moeglich, in der Tradition maennlicher Heldengeschichten ihre eigenen Kriegserlebnisse zu erzahlen und somit Fliegerinnen und Soldatinnen einen Erinnerungsraum zu offnen. (32) Folgende Aussagen von Rakobol?skaja verweisen auf eine weitere Lesart der inszenierten Weiblichkeit: ?Bis heute lebe ich nach dem ersten Gebot der Fraueneinheit: Sei stolz, eine Frau zu sein.? (33) ?Ja, ich weiss, eine Frau kann alles! (...) Aber gerade deswegen darf das, was war, nicht vergessen werden!? (34)

Die Fliegerinnen sind stolz auf ihre Leistungen als Frauen, sehen etwas Ehrenhaftes in ihrer soldatischen Weiblichkeit. Eingeschraenkt muss gesagt werden, dass ich vor allem Selbstzeugnisse von Fliegerinnen untersucht habe, die lange Jahre aktiv im Komsomol waren. Diese Sprechakte waren oeffentliche Handlungen, in denen Rollen von Erzieherinnen und Vorbildern fuer die Jugend eingenommen wurden. Auch deshalb wurden in diesen historischen Dokumenten ? gemaess dem Selbstverstaendnis der Autorinnen ? wie in sehr vielen sowjetischen Selbstzeugnissen kaum private Dinge erzahlt. Das fehlende Bild der ?mordenden Mutter? war nicht nur ein Produkt der offiziellen Zensur durch das Sovinformbjuro (oberste Propagandazentrale der Sowjetunion wahrend des Krieges) und Glavlit (Hauptverwaltung fuer Literatur), sondern auch Ergebnis einer Selbstzensur und blieb bis heute ein Tabu. (35) Erzaehlbar war vor allem die Geschichte des Heldentums, in der Leid, Verlust oder eigene Verwundung als Pruefung und Laeuterung, als Opfer fuer das Land und den Sieg dargestellt wurden. In diesem Sinn konstruierte besonders Marina Chechneva eine Tradition der sowjetischen Fliegerinnen von den Weitflugrekorden der 1930er Jahre bis hin zu den Weltraumfluegen von Jurij Gagarin 1961 und Valentina Tereschkova 1963, die sich als Geschichtsbild angesichts von gender-Stereotypen nicht durchsetzen konnte und Teil eines weiblichen Gruppengedaechtnisses blieb. Dies ist erstaunlich, da in den 1930er Jahren die Fliegerinnen nicht nur zu den ersten unter Stalin ausgezeichneten Helden der Sowjetunion gehoerten, sondern auch sehr populaer waren und als Motiv in Filmen, auf Plakaten, in Erzahlungen und Liedern praesent waren. Chechneva bemangelte in ihrer geschichtswissenschaftliche Dissertation zu Recht die Geringschatzung von Soldatinnen und Fliegerinnen, deren Leistungen vergessen wurden, obwohl sie den maennlichen in nichts nachstunden.(36)

Das letzte Bild ist keine Fotografie sondern ein Plakat von 1946, das meines Erachtens imaginierte Orte von Frauen in der sowjetischen Nachkriegsgesellschaft abbildet, eine Art weiblichen Themenpark darstellt.

Die ?unweiblichen Soldatinnen?, dieser ?historische Ausnahmefall? wird nicht inszeniert, lediglich die Hilfstaetigkeit von Frauen in der Armee, etwa als Sanitaeterinnen (unten links). In der ikonographischen Tradition der Oktoberrevolution sieht man oben jeweils Arbeiter und Bauerin, zentral ist die Frau als Mutter, einmal mit einem Baby im Arm, weiter unten als Allegorie der ?Mutter Heimat?, die von ihren Soehnen verteidigt wird. Hier setzt sich ebenfalls eine Bildsprache aus den Revolutionsjahren fort. In der visuellen Erinnerungskultur von Plakaten, Denkmalern oder Filmen dominierte der maennliche kaempfende Held (was natuerlich dem Anteil von Soldaten entsprach), wodurch Geschlechtervorstellungen und Sehgewohnheiten nicht nur reproduziert, sondern aufs Neue bestaetigt wurden. Der weitgehende Ausschluss von Frauen aus einem kollektiven und kulturellen Gedaechtnis erfolgte durch ihren Ausschluss aus Diskursen. Dennoch gab es zumindest innerhalb der Gruppe der ehemaligen Fliegerinnen eine lebendige Erinnerungstradition, was sicherlich auch fuer andere Erinnerungsgruppen in Bezug auf verschiedene Ereignisse der Sowjetgeschichte gilt. Hier finden wir sehr viel mehr Identitaetsangebote, als in offiziellen Bildern und Texten und sehen eine Parallelitaet verschiedener, durchaus auch kontraerer Identitaetskonstruktionen, aber auch Mechanismen von Selbstzensur (Verschweigen von weiblichen koerperlichen Belangen, Problemen in den Nachkriegsjahren). Die Aneignung von offiziellen Erinnerungsbildern in narrativen Texten oder auch als konkrete Bilder eroeffnete den Kriegsteilnehmern die Moeglichkeit, ihnen neue Sinndeutungen und Themen zuzuordnen, die auf eigenen Erfahrungen beruhten.

Anmerkungen
Der Text ist Teil einer aktuellen Untersuchung. Bitte noch nicht zitieren. Es handelt sich um offizielle, keine privaten Fotos.
1 Nochnye bombardirovtschiky, Nochnye vedamy. Die Bezeichnung ?Nachthexen? fuer sowjetische Kampffliegerinnen stammt angeblich von deutschen Soldaten. Im Russischen meint ved?ma im weitesten Sinne Hexen, konkreter Frauen, die ueber Geheimwissen verfugen, in Beziehung zu Damonen stehen. Ved?ma stand in der vorrevolutionaeren Zeit auch fuer Soldatinnen und umfasste allgemein Frauen, die weibliche Rollenzuschreibungen verletzten oder ueberschritten. S. Mugiki i baby. Mugskoe i genskoe v russkoj tradicionnoj kul?ture. Illjustrirovannaja enciklopedija. SPb. 2005, 90-96; Rakobol?skaja, Irina, Kravcova, N.: Nas nazyvali nochnymi ved?mami. M. 2005.
2 Fieseler, Beate: Der Krieg der Frauen: Die ungeschriebene Geschichte. In: Mascha, Nina, Katjuscha. Frauen in der Roten Armee 1941-1945. Berlin 2002, 11-20. Genaue Zahlenangaben fehlen.
3 Die fehlende Forschung haengt mit den unzugaenglichen Archivalien im Russischen Militaerarchiv zusammen, worauf Beate Fieseler verweist, aber auch mit gender-Stereotypen der Historiker. Vor allem gender-Forscherinnen beschaeftigen sich kritisch mit dem Thema.
4 Fieseler, Krieg 12.
5 Chechneva, Marina Pavlovna:: Kommunisticheskaja partija - vdochnovitel? boevogo podviga sovetskich gentschin v gody velikoj otechestvennoj vojny (na primere voenno-vozduschnych sil strany). Avtoref. diss. na soiskanie uchenoj stepeni kan. ist. nauk. Nauch;. rukovoditel Ja. L. Livsiz;. Kafedra istorii KPSS, M. 1968, hier 10: ?Научных исследованний по проблеме не проводилось. Более того, в шеститомном издании истории Великой Отечественной войны, а также в однотомнике ?Великая Отечественная война Советская Союза 1941-1945 гг. Краткая история? и им подобных изданиях нет даже упоминания о существовании женских авиационных полков.?
6 Kopelew, Lew: Aufbewahren fuer alle Zeit. Muenchen 1981, 84-85. Maennlichkeit wird hier durch eine Abwertung von Frauenkoerpern konstruiert, das eigene Verhalten vielleicht gegenueber einer spaeteren Ehefrau entschuldigt.
7 Geroini. Ocherki o gentchinach ? gerojach Sovetskogo Sojuza. Vyp. Vtoroj. M. 1969. Dies ist nur ein beliebiges Beispiel.
8 Chechneva, Kommunisticheskaja partija; Murmanceva, V. S.: Gentchiny v soldatskich shinelach. M. 1971.
9 Alexijewitsch, Swetlana: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht, Hamburg 1989, Neuuebersetzung und erweiterte Ausgabe Berlin 2003.
10 Bourdieu, Pierre: Die gesellschaftliche Definition der Photographie. In: ders., Boltanski, Castel, Chamboredon, Lagneau, Schnapper et al.: Eine illegitime Kunst. Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie. Frankfurt/M. 1981, 85-136, hier 85, 87.
11 Ebd. 87. Bourdieu verweist auf eine Wechselwirkung von Bild und Betrachter, die auch fuer den Forscher und die Forscherin gilt.
12 Einfuehrende Erlauterungen finden sich bei Talkenberger, Heike: Von der Illustration zur Interpretation. Das Bild als historische Quelle. Methodische Ueberlegungen zur Historischen Bildkunde. In: Zeitschrift fuer Historische Forschung , 289-314; Merten, Sabine: Bilder als historische Quelle: Eine Interpretation der Moskauer Bilderchronik ?Licevoj Letopisnj Svod? (16. Jahrhundert). In: VIFAOST Handbuch Geschichte, 18.10.2006, http://www.vifaost.de/sys/cgi/w/index.cgi?l=de&sid=aq62&p=geschichte/handbuch/merten-bildkunde.html
13 Ludtke, Alf: Historische Fotos. Die Wirklichkeit der Bilder. In: Dittmer, Lothar, Detlef Siegfried (Hg.): Spurensucher. In Praxisbuch fuer historische Projektarbeit. Weinheim, Basel 1997, 110-118, hier 111.
14 Ebd. 113, 117.
15 Welzer, Harald (Hg.): Das Gedaechtnis der Bilder. Aesthetik und Nationalsozialismus, Tuebingen 1995. Einleitung 7-13, hier 8.
16 Welzer, Harald: Die Bilder der Macht und die Ohnmacht der Bilder. Ueber Besetzung und Ausloeschung von Erinnerung. In: ders., Gedaechtnis, 165-194.
17 Das Fehlen von Bildern laesst sich fuer die Ereignisse des 1. Weltkriegs, die Kollektivierung, die Shoah und den Gulag feststellen.
18 Uhl, Heidemarie: Ikonen, ephemere Bilder, Leerstellen. AUSTRIA WOCHENSCHAU und oesterreichisches Bildgedaechtnis (1949-1955. In: Moser, Karin (Hg.): Besetzte Bilder. Film, Kultur und Propaganda in Osterreich 1945-1955, Wien 2006, 495-512.
19 588. Nachtbomberregiment, 1941 von Marina Raskova zusammen gestellt.
20 Die Gruppe der Fliegerinnen des weiblichen Fliegerregimentes bestand aus 115 bis zeitweise 250 Personen. Bis heute bestehen zwischen einzelnen Mitgliedern enge Kontakte, zudem hatte die Gruppe als Erinnerungsgemeinschaft feste, eigene Rituale und eine eigene Organisationsstruktur mit einem Совет полка (Einheitensowjet). Rakobol?skaja, 141. Innerhalb der Grossgruppe gab es verschiedene Untergruppen, die durch ihre Taetigkeiten ? Fliegerin, Navigator, Technikerin ? oder die soziale Herkunft ? Studentinnen der staatlichen Moskauer Universitaet ? definiert waren.
21 Viele Bilder sind in den Memoiren von Irina Rakobol?skaja und Natal?ja Kravcova reproduziert worden. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass sich die Originale im Komsomolarchiv in Moskau befinden. Rakobol'skaja, Nas nazvali.
22 Zum Bildgedaechtnis siehe die Ausstellungskataloge des Berliner Museums Karlshorst. Wichtige Bilder, die durch populaere Filme (Komoedien, Dramen, Historienfilme) produziert wurden, werden in einem naechsten Arbeitsschritt mit einbezogen.
23 In verschiedenen Selbstzeugnissen der Fliegerinnen wird die Geschichte des von Marina Raskova 1941 gegruendeten weiblichen Fliegerregiments erzahlt. S. Rakobol'skaja, Nas nazvali nochnymi ved?mami; Pennington, Reina: Wings, Women, and War. Soviet Airwomen in World War II Combat., Kansas 2001; Noggle, Anne: A Dance with Death. Soviet Airwomen in World War II, Texas 1994.
24 Dieser Erinnerungsprozess ist durchgaengig in dem Buch von Rakobolskaja, die zahlreiche solcher Portraitsfotos mit den Geschichten zu den gezeigten Personen verbindet.
25 Zu Kriegsinvaliden siehe die Arbeiten von Beate Fieseler.
26 Bourdieu, Gesellschaftliche Definition 94.
27 Ebd. 94-95.
28 Alexijewitsch, Der Krieg 12.
29 Rakobol?skaja, Nas 135.
30 Tcherbakova, Anna: Moi vospominanija o Marine Chechnevoj. RGASPI f. M-7, op. 2, d. 1323, ll. 24-36, hier 25.
31 Die nachfolgenden Abbildungen stammen aus der Dissertation von Ramm-Weber, Susanne: Mit der Sichel in der Hand. Mythos und Weiblichkeit in der sowjetischen Kunst der dreissiger Jahre. Koeln u.a. 2006. 32 Krylova , Anna:Stalinist Identity from the Viewpoint of Gender: Rearing a Generation of Professionally Violent Women-Fighters in 1930s Stalinist Russia. In: Gender & History ( 2004) Vol. 16, No. 3, 626-653; Gebauer, Kerstin: Mensch sein, Frau sein. Autobiographische Selbstentwurfe russischer Frauen aus der Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs um 1917. Frankfurt/M. 2003;
33 Rakobol?skaja, Nas 153.
34 Ebd. 156.
35 Terminus wird auch im Aufsatz von Anna Krylova verwendet: Stalinist Identity from the Viewpoint of Gender.
36 Chechneva, Kommunisticheskaja 19: ?Первые боевые вылеты, первые воздушниые бои показали, что женские авиационные полки способны выполнять боевые задачи наравне с мужскими полками.?

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