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| Archive - Der juedischer Arbeiterbund - Comments
Ich moechte mich zuerst bei allen Teilnehmenden fuer ihre konstruktiven Bemerkungen bedanken. Ich werde jeden Punkt der Reihe nach behandeln.
- Nicht nur bei den Bundisten, sondern auch bei allen anderen sozialistischen bzw. revolutionaeren Bewegungen aus dem Russischen Reich existierte diese Diskrepanz zwischen dem Entstehungskontext der Parteien und dem effektiven Kontext ihrer Entwicklung. Das Exil vieler Vertreter des Bundes zwang sie, neue Strategien anzuwenden, und sich neue Gedanken ueber die Verbreitung ihrer Ideen zu machen. Das besondere Milieu der |
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Forschungsstand
1.2 Fragestellung und methodischer Ansatz
1.3 Die Quellen
2 Die Entstehung des Bundes
2.1 Die Ausgangssituation f?r die Entstehung des Bundes am Ende des 19. Jahrhunderts
2.2 Vom ersten Streik bis zur Gr?ndung des Allgemeinen J?dischen Arbeiterbundes in Litauen, Polen und Russland
3 Die Entstehung des Auslandskomitees und die Organisation des Bundes im Ausland
3.1 John Mill und die Gr?ndung des Auslandskomitees in Genf
3.2 Die israelitische Druckerei
3.3 Die Ausweisungen von Kremer und Bernstein und die Verlegung des Auslandskomitees nach London
3.3.1 Die Demonstration vom 5. April 1901 in Genf
3.3.2 Die Verbindungen zwischen den Bundisten und anderen russischen Sozialdemokraten
3.3.3 Der Antrag Aron Kremers vom 24. September 1901
4 Der Bund im Ausland um 1902
4.1 Allgemeine Organisation und Funktionen der Zentralzirkel im Ausland
4.2 Die Zentralzirkel in der Schweiz
4.3 Das Berner Beispiel
4.4 Die Schwierigkeiten der Zentralzirkel 1902
5 Die R?ckkehr des Auslandskomitees in die Schweiz
5.1 Die Druckerei
5.2 Das karu?ke
6 1905: die Revolution und die Konsequenzen fuer den Bund
7 Der Fall David Machlin
7.1 Verhaftung und erstes Verhoer
7.2 Die Reaktion des Bundes
7.3 Die Ausweisung
7.4 Das Postfach Nr. 13320
8 Das Jahr 1906
8.1 Der Bund im Russischen Reich
8.2 Der Bund im Ausland
8.2.1 'Legalisierung' und 'Demokratisierung'
8.2.2 Die Zusammensetzung der Kolonien und der F?rderungsgruppen im Juli 1906
8.2.3 Die Anerkennung der Organisation durch das Zentralkomitee
8.2.4 Die Taetigkeiten
8.2.5 Weitere Probleme
8.2.6 Das Verhaeltnis zu den anderen Gruppierungen
9 Die Jahre 1907-1910: Krisenzeit
9.1 Allgemeine Schwierigkeiten
9.2 Die Schweizer Gruppen
10 Die Jahre 1911-1912
11 Was aus dem Auslandskomitee wurde
12 Schluss
13 Bibliographie
13.1 Ungedruckte Quellen
13.2 Gedruckte Quellen
13.3 Nachschlagewerke
13.4 Literatur
1.2 Fragestellung und methodischer Ansatz
Diese Arbeit besch?ftigt sich mit der Geschichte des Bundes in der Schweiz, wobei zwei Aspekte im Zentrum stehen. Zum Einen wird angeschaut, wie das Auslandskomitee des Bundes und die anderen ausl?ndischen Zirkel dieser Partei in der Schweiz organisiert waren und welche Funktion sie erf?llten. Zum Anderen wird die Frage untersucht, welches Verhaeltnis die Mitglieder der Partei zu den Schweizer Behoerden hatten und vice versa. Wurden die Bundisten und ihre T?tigkeiten durch die Schweiz in ihrer Ganzheit wahrgenommen? Wenn ja wie, und wenn nein wieso?
Die vorliegende Analyse will sich jedoch nicht auf eine unpers?nliche Behandlung des Themas beschr?nken. Die Geschichte wird teilweise durch die Darstellung konkreter Einzelf?lle rekonstruiert. Die Wahl dieser Vorgehensweise rechtfertigt sich durch die Quellenlage. Denn das Quellenmaterial dieser Studie setzt sich aus verschiedenen Typen zusammen. Es handelt sich um Erinnerungen der Betroffenen, um Archivmaterial aus dem Archiv des Auslandskomitees des Bundes, sowie um Polizeiakten, Verh?rprotokolle und andere Unterlagen der Schweizer Obrigkeit. Diese Vielfalt erlaubt einen multiperspektivischen Blick auf die Ereignisse und eine Horizonterweiterung.
Methodisch naehert man sich dabei dem Prinzip der Histoire crois?e, welches die Historiker Michael Werner und B?n?dicte Zimmermann entwickelt haben (1). Auch wenn die zwei For- scher diese Methode f?r internationale Transfergeschichte ausgearbeitet haben, kann man sich f?r die vorliegende Arbeit auf einigen wichtigen Punkten und Erkenntnissen dieser Verfahrensweise st?tzen. Mit der Histoire crois?e werden verschiedene Elemente gekreuzt, ?berkreuzt, verflechtet. Diesem Verflechtungsprozess werden nicht nur die konkreten Gegenst?nde der Forschung, sondern auch die Sichtweisen auf die untersuchten Objekte, die Beziehung zwischen dem Forscher und den analysierten Dingen sowie die Frage des Massstabs unterworfen (2). Um diese Ueberkreuzungen zu analysieren, gebraucht die Histoire crois?e zwei theoretische Komponenten: induktive Pragmatik und Reflexivitaet (3). Die induktive Pragmatik impliziert als Ausgangspunkt die Beobachtung der Gegenstaende und der Handlungssituationen, in denen sie sich entfalten, aus einem oder mehreren Standpunkten (4). Das erlaubt unter anderem zu verallgemeinern, ohne ?die Verallgemeinerung [...] von der konkreten Situation, in der sie aktualisiert und umgesetzt wird, zu trennen? (5), und so eine Vielfalt von Interaktionen zu entdecken. Dies ist wichtig, denn dadurch wird die Opposition zwischen Makro- und Mikrogeschichte ueberwunden. Die zwei Ebenen werden durch viele Zwischenstufen miteinander verbunden und gegenseitig ergaenzt. (6). Durch die Vermehrung der Beobachtungspunkte hat die induktive Pragmatik ein hohes Mass an Reflexivitaet zur Folge. Dank dem Ansatz der Histoire crois?e werden die bestehenden Elemente sowie die Vorstellungen und Analysen des Historikers ?ber sie durch die Pluralitaet der Perspektiven infrage gestellt. Dadurch gewinnt die Forschung an Objektivierung und Neutralitaet: ?Diese Arbeit der selbstreflexiven Methodenkontrolle leistet die Histoire crois?e vor allem durch die Pluralisierung der Sichtweisen. Die verschiedenen Blickwinkel auf den Gegenstand generieren zusaetzliche Dimensionen der Wahrnehmung und ver?ndern die Art und Weise, wie er scheint. Gleichzeitig werden in einem R?ckdoppelungseffekt die Beobachterposition ihrerseits modifiziert.? (7). Deswegen scheint diese Methode hier angebracht zu sein. Sie erm?glicht n?mlich die Komplexit?t des Themas wahrzunehmen und hilft gleichzeitig die Vielfalt der Quellen nutzbringend zu verwenden.
Anmerkungen
1 Siehe Werner, Michael; Zimmermann, B?n?dicte: Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire crois?e und die Herausforderung des Transnationalen, in:Geschichte und Gesellschaft 28, 2002, S. 607-636.
2 Werner, Michael; Zimmermann, B?n?dicte: Penser l'histoire crois?e. Entre empirie et r?fl?xivit?, in: Werner, Michel; Zimmermann, B?n?dicte (Hg.): De la comparaison ? l'histoire crois?e, Paris 2004, S. 23.
3 Werner, Michael; Zimmermann, B?n?dicte, Vergleich, Transfer, Gesellschaft, op. cit., S. 620.
4, 5, 6, 7. Werner, Michael; Zimmermann, B?n?dicte, Penser l'histoire crois?e, op. cit., S. 30. Ibid. Werner, Michael; Zimmermann, B?n?dicte, Vergleich, Transfer, Gesellschaft, op. cit., S. 622. Ibid., S. 636.
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Arbeitsgruppe in Basel
Diskussionspunkte
Wir haben ueber die Rolle von Bern und Genf in der Organisation des Bundes im Ausland diskutiert: bisher wurde immer wieder behauptet, dass Genf die zentrale Rolle spielte. In meiner Arbeit habe ich gezeigt, dass auch Bern eine wichtige Stelle hatte. Die Frage war, ob ich behaupten wuerde, dass Bern und nicht Genf im Zentrum stand.
Bis zur Ausweisung Machlins Anfang Mai 1906 befand sich das Zentralbuero der Obedinennaja Organisacija Bundovskih Kružkov Zagranicej in Bern. John Mill hatte das Auslandskomitee des Bundes zwar in Genf gegruendet, die Bund-Gruppe in Bern zaehlte jedoch am meisten Mitglieder. Von dem her kann man sagen, dass Bern bis 1906 parallel zu Genf eine bedeutende logistische und organisatorische Rolle spielte, auch zwischen Herbst 1901 und Herbst 1903, als das Auslandskomitee und seine Druckerei von Genf nach London verlegt worden waren. Nach der Ausweisung von David Machlin wurde das Zentralbuero der Obedinennaja Organisacija Grupp Sodejstvija Bundu Zagranicej nach Genf verlegt, was dazu fuehrte, dass sich jetzt alle zentralen Organe der Organisation des Bundes im Ausland in Genf befanden.
Es kam auch die Frage, wie die Schweizer Juden und die anderen sozialistischen Gruppierungen die Bundisten in der Schweiz wahrnahmen.
Obwohl dies nicht Gegenstand meiner Arbeit war, habe ich mehrmals Quellen getroffen, die auf eine punktuelle Zusammenarbeit zwischen Bundisten und Vertretern anderer sozialistischen Richtungen hinweisen. So beispielsweise in Zuerich, wo sich mehrere linksorientierte Gruppierungen, deren Mitglieder aus dem Russischen Reich stammten, sich zusammengeschlossen hatten, um Referate, Abende und Konzerte zu organisieren, in der Hoffnung, mehr Geld in die Parteikassen bringen zu koennen. Auch nachdem der Bund 1903 aus der RSDRP ausgetreten war, hatten gewisse Mitglieder des Bundes immer noch gute Kontakte mit Angehoerigen der RSDRP. Spuren von persoenlichen Kontakten zwischen Bundisten (wie zum Beispiel Vladimir Medem) und einigen Genfer Sozialisten habe ich auch gefunden. Sie konnten leider im Rahmen meiner Arbeit nicht naeher betrachtet werden.
Was die Schweizer Juden betrifft: Man soll nicht vergessen, dass die Bundisten sozialistische Ideen vertraten. Die juedischen Gemeinden in der Schweiz lehnten diese Ideen ab. Es kam also zu keinen Kontakten zwischen den Bundisten und den juedischen Gemeinden in der Schweiz.
Das Problem der Kompetenz der Schweizer Polizei wurde auch angesprochen. Die Polizisten konnten naemlich weder Russisch, noch jiddisch. Die Schweizer Zeugen auch nicht. Deswegen war es schwierig, den Inhalt einer Versammlung richtig zu beurteilen, um zu entscheiden, ob die Versammlung die Sicherheit der Schweiz gefaehrdete oder nicht. Vielmehr handelten die Polizisten nach einem Muster, das sie fuer alle sozialistischen Gruppierungen aus Osteuropa benutzten. Die Tendenz, alle Sozialisten aus Osteuropa in den selben Topf zu werfen, war gross, wie der Fall David Machlin zeigt.
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