Search | Write us | FAQ
RU | no-pyccku International internet-seminar about russian and east-european history
Welcome! About the project Coordinators of the project Current project Publications Links Archive Feedback
SUSU South Ural State University
UNI BASELUNI
BASEL
Chelyabinsk State University Chelyabinsk State University

Archive - Sex and drill - Comments

Ekaterina Emeliantseva - 26.01.2004 18:01
Ekaterina Emeliantseva Basel, 26.6.03

Lieber Andrej Romanov,

Dein Projekt finde ich sehr interessant, insbesondere Deine Quellenbasis - die Berichte der Angehцrigen der Schwarzen Hundertschaften ьber ihre Kinobesuche in St. Petersburg.

Du erwдhnst, dass sie ?pornographischen? Film-Inhalten in ihren Beschreibungen besonders viel Platz einrдumen. Meine Frage wдre nun: Wie liesse sich diese Wahrnehmung im Zusammenhang mit ihrer sozialen Lage deuten? Das neue Medium war ja im Petersburg des beginnenden 20. Jahrhunderts eine Attraktion fьr alle Schichten der Bevцlkerung, es wurde jedoch sehr unterschiedlcih darauf reagiert - die Skala reichte von absoluter Begeisterung bis zu gдnzlicher Ablehnung. Insbesondere in den Kreisen, die Du untersuchst, wurde das Kino als schдdliche Krankheit empfunden. (Bemekenswert finde ich dabei, dass die Schwarzen Hundertschaften selbst von den zeitgenцssischen russischen Psychologen als ?krankhafte und hysterische Terroristen? gedeutet wurden.)

Wдre es mцglich, dass die scharfe Verurteilung der ?Dekadenz? des neuen Mediums, auf die diese Berichte hinweisen, weniger ьber den Inhalt der Filme aussagt als ьber die Befindlichkeit der Autoren? Dass diese ?pornographischen? Beschreibungen fьr die Angehцrigen der Schwarzen Hundertschaften insofern identitдtsstiftend waren, als sie sich aufgrund der neuen Entwicklungen und Verдnderungen gedradiert fьhlten und durch den Ausschluss des Neuen ihre Identitдt stдrkten, daraus aber auch ihr Gewaltpotential schцpften? Dieser Prozess lдsst sich beispielsweise bei den faschistischen Kampfbьnden der deutschen SA und des italienischen Squadrismus beobachten. Sven Reichardt hat in seiner Monographie ?Faschistische Kampfbьnde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA? (Kцln u. a. 2002) nachgewiesen, dass fьr die Angehцrigen faschistischer Kampfbьnde die Kameradschaft und ein Mдnnlichkeitskult, der sich gegen die ?weibischen? Demokraten richtete, entscheidend waren. (Den geschlechtsspezifischen Aspekt in der Wahrnehmung zeitgenцssischer Boulevard-Literatur und ihrer Verfilmung seitens dieser Gruppen im Sinne einer ?weiblichen Dйcadence der bьrgerlichen Schichten? unterstreicht auch Laura Engelstein in ihrer Arbeit ?The Keys to Happiness. Sex and the Search for Modernity in Fin-de-Siиcle Russia, N.Y. 1992). Dabei stellte Reichardt fest, dass die ideologischen Inhalte fьr den sozialen Zusammenhalt dieser Gruppen von geringerer Bedeutung waren, als gemeinhin angenommen wird.

Wдren die Schwarzen Hunderschaften, fьr die die Gewalt ebenfalls ein integraler Bestandteil ihrer Identitдt war, in dieser Hinsicht - bei allen programmatischen Unterschieden - mit den faschistischen Gruppen vergleichbar? Liesse sich anhand Deiner Quellenbasis der Frage nachgehen, inwiefern die programmatischen Inhalte dieser Bewegungen auch von der Basis wirklich geteilt und mitgetragen wurden und insofern als Grund fьr den Anschluss an diese Gruppen betrachtet werden kцnnen?
Andrej Romanov - an Ekaterina Emeliantseva

Liebe Ekaterina,
bevor ich Deine Frage beantworte, ich erlaube mir einige Kommentare Deines Briefes.
1. ZumZusammenhang der Wahrnehmung und sozialer Lage.
Sicherlich duerfte man Besonderheiten von Wahrnemung der Filme auf die soziale Herkunft der Zuschauer zurueckfuehren, meine Quellen haben aber keine Information darueber.
2. Du schreibst, dass die Schwarzen Hundertschaften das Kino (als kulturelle Erscheinung) als eine Krankheit empfanden.
Fuer Organisatoren und Ideologen der Schwarzen Hundertschaft wie Purischkewitsch und seine Anhaenger war das Kino keine Krankheit. Noch mehr, 10 Jahre vor Lenin plaedierte er fuer die intensive propagandistische Benutzung der Filme, und diese Idee finden wir auch in den Briefen des Fussvolkes an Purischkewitsch. Als gefaehrlich schienen aber die Filme mit ?falschen? Ideen. Deshalb waere es nicht ganz korrekt die Vorstellung vom Kino als einer Krankheit allen Rechten zu zuschreiben. Ausserdem darf man den Zeitgenossen - Psychologen nich besonders vertrauen: sie gehoerten den liberalen intelligenten Kreisen, die von Anfang Monarchismus und Poebel feindlich wahrnahmen. Ihre Interpraetation der Schwarzen Hundertschaften laesst sich als eine Instrumentalisierung der Feindbilder fuer die Unterstuetzung der liberalistischen Identitaet zu deuten.
3. Zur Verurteilung der ?Dekadenz? des neuen Mediums und der Wahrnemung der Informanten.
In meinem Text versuchte ich eben die Idee zu betonen, dass die Schwarzhundertschaftler besonders krankhaft auf die ?pornographischen? Sujets als Symtom des allumfassenden moralischen Zerfalls reagierten. Ich muss auch beilaeufig bemerken, dass mein diskutiertes Text nur ein Summary eines groesseren Aufsatzes darstellt, wo es um die Reaktion der Schwarzhundertschaftler auf die aktuelle Ereignisse geht, wie auch von den Rezepten der Bekaempfung von eingebildeten Gefahren. Die Bilder dieser sozialen und politischen ?Kranheiten? stifteten und unterstuetzten die Identitaet dieser Leute, indem sie eine Grenze zwischen dem ?Fremden? und dem ?Eigenen? zogen.
Jetzt zu Deinen Fragen:
1. Ueber die Moeglichkeiten des Vergleichs der Schwarzen Hundertschaften mit den faschistischen Organisationen.
Die Tscheljabinsker Teilnehmer des Seminars haben diese Frage auch gestellt.
Mir scheint wichtig, den Gegenstand des Vergleichs zu praezisieren. Die ?Dekadenz des neuen Mediums? mit der ?Dekadenz der weibischen Demokratie? in Deutschland der 20er - 30er? Die russischen Rechtsradikalen protestierten nicht gegen die Demokratie, die im Russlands der Jahrhundertswende nicht existierte. Die zentrale Zeitung des Bundes des Russischen Volkes ?Russkoje znamja? schrieb mit Genugtuung von der Gruendung der Staatsduma als von einer Moeglichkeit, die Stimme des Volkes dem Zar zu praesentieren, und als einen Gegensatz den Buerokraten und den ?judischen Revolutionaeren?. Bei der Genderanalysen soll man, m. E., die Stigmatisierung der maennlichen Zuneigung zur Kameradschaft und den Mдnnlichkeitskult vermeiden. Ausserdem war die politische, soziale und kulturelle Situation mit der in Deutschland und Italien 20er und 30er Jahre kaum vergleichbar. Aus diesen Gruenden bin ich fuer einen aesserst vorsichtigen Vergleich der russischen Schwarzen Hundertschaften mit den faschistischen Gruppen.
2. Zur Frage ueber das Programm als Grund fьr den Anschluss an die Schwarze Hundertschaft. Ich bin einverstanden mit Igor Narskij, der in seinem Buch (?Revolutionaere auf der Rechten?: Die Schwarzhundertschaftler im Ural 1905 - 1916, Ekaterinburg 1994) ueberzeugend gezeigt hat, dass das Fussvolk sehr schwach auf die Ideologie als Ganzes reagierte. Es gibt auch Nachweise von den Uebergangen aus dem Bund des Russischen Volkes in die Sozialdemokratie und umgekehrt. Vieles spricht dafuer, dass die Hauptmotive der Mitgliedschaft in den Parteien eher kultureller und wirtschaftlicher als ideologischer Herkunft waren.

Larisa Konovalova - 26.01.2004 18:00
Larisa Konovalova (Hauptstudium):
Erlauben Sie mir bitte den Zweifel ausdruecken, dass die Militaerdisziplin und Drill die traditionellen Prinzipien der russischen Gesellschaft zerstoerten?

Andrej Romanov:
Genau, die Rechten haben damit gerechnet, die Militaerdisziplin gegen die ?bauerischen Faulheit? und ?Unwissenheit? zu benutzen. Das war der Weg zur Ueberwindung der Unbegabung der Bauern zur systematischen, selbststaendigen und folgerichtigen Handlungen.
Die Bauern bekammen in der Armee neuer Erfahrung. Als diese Maenner aus Armee zuruckkamen, internalisierten sie die Idee ?der Grossen Heimat?. Ihre Heimat war das Imperium, das die Verteidigung und Aufopferung braucht.

Anton Lebedev, Undergarduate - 08.10.2003 11:29
Were there any prospects before the Russian ?rights? to grow into the movement similar to the Italian ?squadri? or ?fasci??

A.R. Yes, I think there may have been some prospects, although the likening of their ideological programs would not be correct. This could have been rather formal similarity in their educational and propaganda methods.

May we consider the right movement as an alternative to the left extremism?

A.R. What kind of alternative do you mean - political or cultural?

The people who worked in the right organizations with public - whatsocial group and culture did they belong to?

A.R. Unfortunately, I do not have any information on the matter.


URC FREEnet

coordinators of the project: kulthist@chelcom.ru, webmaster: