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Archive - Schafe, Skifahrer, Sozialisten. Die Tatra als Naturraum nach 1945 - Comments

Basel - 24.12.2011 15:20
Bianca Hoenig, Basel: Erwiderung auf das Protokoll des Virtuellen Seminars in ?eljabinsk vom 24.11.2011


Herzlichen Dank f?r Ihr Interesse, Ihre Anregungen und Kritik an meinem Dissertationsprojekt. Im Folgenden versuche ich, auf Ihre Ideen einzugehen. Zu einigen der angesprochenen Punkte kann ich bereits einige weitere Informationen geben oder zumindest Gedanken formulieren. Andere Punkte kann ich derzeit nur zur Kenntnis nehmen und versuchen, sie bei der Weiterentwicklung meines Projekts zu ber?cksichtigen, da ich ?ber viele Bereiche des Themas noch zu wenig wei?, um sie angemessen zu bewerten.

Zu Ihren konkreten Punkten:
Zun?chst wurde die Frage nach der Verankerung im regionalen, allgemein osteurop?ischen und globalen Kontext gestellt. Mein Ziel ist, anhand der Untersuchung einer Region auch Schl?sse von genereller Relevanz f?r den ?Ostblock?, zumindest aber f?r Ostmitteleuropa ziehen zu k?nnen. Hier sind die Parallelen interessant, die Sie ja auch in Punkt 2 ansprechen: die generelle Problematik des modernen Umgangs mit Natur ist ein block?bergreifender. Genau die Frage nach der Besonderheit in sozialistischen Gesellschaften ist die Leitfrage meines Projekts. Auf sie kann ich noch keinesfalls eine befriedigende Antwort geben. Ich glaube aber, dass genau das Fortschrittsstreben und die Utopie der Machbarkeit sich eben auch im Umgang mit der Tatra widerspiegelte (popul?rer Nutzen der Natur, planm??ige Entwicklung im Tourismus, Naturschutz usw.). Dessen ungeachtet kann ich wohl sagen, dass sich im Bereich des Tourismus der Zweite Weltkrieg sicher als Z?sur bezeichnen l?sst, da nach 1945/1948 die gesamte Organisationsstruktur, die Programmatik und auch der Begriff von Sehensw?rdigkeit umgewandelt wurde. Auch in der alpinen Landwirtschaft bedeutete dies einen Einschnitt, wobei ich hier noch weniger deutlich einzelne Bereiche benennen kann. F?r die Natursch?tzer w?rde ich hingegen eher die Kontinuit?ten zur Zwischenkriegszeit hervorheben, obwohl sie sich diskursiv zeitweise recht erfolgreich anpassen konnten.
Dies leitet ?ber zum dritten Punkt, den Interessengruppen und ihre Rolle im Gestaltungsprozess des Umgangs mit der Tatra. F?r mich sind sowohl die Prozesse auf der Zentralebene interessant, wo die wichtigen Entscheidungen getroffen wurden, etwa in den Ministerien f?r Land- und Forstwirtschaft oder f?r Kultur (Tourismus und zeitweise der Naturschutz waren dort angesiedelt), als auch auf regionaler/lokaler Ebene, wo die Aushandlungsprozesse zwischen den verschiedenen Gruppen sich konkret abspielten. Bisher habe ich mich vor allem mit dem Tourismus und dem Naturschutz besch?ftigt, weshalb ich diese Nutzungsformen in den Vordergrund gestellt habe. Es wird meine Aufgabe sein, wie im Protokoll vorgeschlagen, auch die ?brigen Beteiligten wie auch die lokale Bev?lkerung zu Wort kommen zu lassen, um ein rundes Bild der Nutzungspraktiken zeichnen zu k?nnen. In einer zuk?nftigen Gliederung m?chte ich dann genau die Ber?hrungspunkte bzw. Probleme und ihre L?sungsversuche zwischen den Vertretern verschiedener Nutzungsformen in den Mittelpunkt stellen. Dies soll u.a. anhand von bestimmten Ereignissen (Gr?ndung der Nationalparks, Ski-Weltmeisterschaften usw.) und Topoi (Nutzen, ?sthetik usw.) erfolgen.
Die konkreten Fragen, die insbesondere in Punkt 3 formuliert sind, werde ich als Anregung aufnehmen und im Zuge der Recherchen versuchen, sie zu beantworten. Hier m?chte ich nur noch auf die Frage nach dem Titel des Textes, also nach den Schafen, Skifahrern und Sozialisten eingehen. Hier handelt es sich neben dem Wortspiel darum, verschiedene Nutzergruppen exemplarisch darzustellen. Dabei stehen die Skifahrer f?r die Touristen allgemein (nicht f?r besonders schlecht erzogene), die gerade in der Entwicklung nach 1945 immer breiteren Raum bekamen. Die ?Sozialisten? sind hier das Element, was zu den beiden anderen im sozialistischen Kontext eben noch hinzukam ? und genau darum geht es mir, zu fragen, wie dieses Element die Situation ver?ndert hat.
Zum Schluss m?chte ich nochmals auf den im Protokoll zuerst erw?hnten Punkt eingehen, den ich bereits weiter oben zitiert habe: Meine Idealvorstellung w?re es, im Sinne eines ?jeu d??chelle? die Betrachtung der Tatraregion in einen Kontext auf mehreren Ebenen einzubinden. Interessanterweise bzw. von mir unerwartet stark blieb die Tatra in den Repr?sentationen (auch visuell z.B. auf Karten) ein nationales Gebirge, wo jeweils nur ein Teil dargestellt und beschrieben wurde. Dies steht in offenem Widerspruch zu der offiziellen internationalistischen Vers?hnungsrhetorik und zu den grenz?bergreifenden pers?nlichen Kontakten der lokalen Bev?lkerung wie den Bergsteiger- und Naturschutzaktivisten. Das Tatragebirge wurde, wie dies im Protokoll ja auch angenommen wurde, als touristische Marke europaweit (v.a., aber nicht nur im Ostblock) beworben und es besa? tats?chlich Anziehungskraft, die weit ?ber die nationalen Gesellschaften hinausging (so kamen etwa sehr viele DDR-Touristen in die Tatra). Schlie?lich, um auf den globalen Ma?stab zu sprechen zu kommen, lie?en sich einerseits die Tatraaktivisten von internationalen Entwicklungen inspirieren (v.a. im Naturschutz), andererseits wurden die dortigen Vorg?nge auch in anderen L?ndern verfolgt. Die Tatra geh?rt sicherlich zu den Naturr?umen, denen auch international Aufmerksamkeit zuteil wurde, auch und gerade, als ab den 70er Jahren das Bewusstsein f?r Umweltprobleme immer mehr stieg.

Ich hoffe, mit diesen Bemerkungen etwas mehr Klarheit geschaffen bzw. wenigstens teilweise auf Ihre Fragen geantwortet zu haben. Mir ist bewusst, dass ich auch hier einige konkrete Antworten noch schuldig bleiben muss. Ihre Anmerkungen helfen mir, wesentliche Punkte zu fokussieren. Sehr gerne kann ich Ihnen in einem sp?teren Stadium meines Projekts nochmal berichten.

Basel - 26.11.2011 15:46
Stichpunkte zur Diskussion des Kolloquiumsvortrags von Bianca Hoenig, 19.10.2011
Ein Schwerpunkt der Diskussion betraf die Frage nach der sozialistischen Spezifik des Themas: Hier wurde synchron nach den parallelen Entwicklungen im Ostblock wie in Westeuropa und den USA gefragt wie auch nach dem Umgang mit der Tatra vor dem Zweiten Weltkrieg und seit 1989. Diese Vergleichsperspektiven muessten noch staerker gemacht werden. So koennten Kontinuitaeten und Verbindungen herausgearbeitet werden (etwa Tatra als Tourismusregion seit dem 19. Jahrhundert, Naturschutz als Teil einer weltweiten Bewegung seit Beginn des 20. Jahrhunderts) als auch spezifisch sozialistische Elemente (andere Wirtschaftsstrukturen, auf Gemeinschaft zielende Nutzungskonzepte).
Weiter wurde in diesem Zusammenhang nach einzelnen Nutzungsarten gefragt. In Bezug auf den Tourismus wurde die Diskrepanz zwischen dem propagandistischen Idealbild und der Praxis der Touristen betont. Wie standen diese Komponenten miteinander in Beziehung? Im Zusammenhang mit der (traditionellen) Landwirtschaft kam die Frage nach den Besitzverhaeltnissen und Unternehmensstrukturen auf. Dazu kann ich noch nichts Sicheres sagen, es scheint aber, dass die Schafzucht am Fuss der Tatra nicht kollektiviert war.
Schliesslich wurde ueber Begriffe wie Heimat und Tradition diskutiert: War die Tatra nach 1945 Teil eines weit verbreiteten Bergdiskurses? Wie wurde im sozialistischen Kontext mit Bildern von Wildheit und Unberuehrtheit umgegangen? Damit in Verbindung stehend: Welche Rolle spielte die Staatsgrenze quer durch das Gebirge bzw. welche Rolle spielt sie im Forschungsprojekt?

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