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| Current project - Der ethnographisch-anthropologische Blick - Comments
Schlusskommentar von Laura Elias
Zunächst einmal möchte ich mich bei den Baseler und Tscheljabinsker Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich für die kritische Lektüre meines Textes bedanken – genauer gesagt der beiden Texte. Denn während die Tschlejabinsker den allerersten Entwurf diskutierten, bekamen die Baseler einige Monate später den völlig umgearbeiteten Text vorgelegt, der in dieser Form in Heftnummer 136 der Zeitschrift „Fotogeschichte“ erscheinen wird. Anmerken möchte ich zu Beginn, dass ich eine sehr begrenzte Zeichenvorgabe (nur 22.000 Zeichen!) hatte, weshalb ich mich bezüglich des Inhaltes sehr stark beschränken und auf wenige Aspekte konzentrieren musste.
Von Seiten der Tscheljabinsker Kollegen ist beklagt worden, dass der Untersuchungsgegenstand und das Ziel des Textes unklar geblieben seien. In der ersten Textfassung sei nicht deutlich geworden, ob es mir um eine historische Quellenanalyse, eine Fallstudie oder um die Herleitung theoretischer Schlussfolgerungen gehe. Mein Aufsatz ist ganz eindeutig eine beispielhafte Fallstudie, die auf der Analyse historischer Text- und Bildquellen basiert – ich hoffe, dass dies in der Endversion des Textes nun deutlicher geworden ist. Ich verfolge mit dieser beispielhaften Analyse in keiner Weise das Ziel, verallgemeinernde Aussagen über die russische ethnographisch-anthropologische Photographie im Allgemeinen zu treffen. Kritik war auch am Titel geäußert worden („Der ethn.-anthr. Blick: Fotografie und visuelle Wissensproduktion im späten Zarenreich“), der in großer Diskrepanz zum Inhalt stünde und einen allgemeine Aussagen über das ethnographische Genre erwarten lasse. Ich hoffe, dass der neue Titel „Der ethn.-anthr. Blick: Die Kasachen der Inneren Horde in den Fotografien A. Charuzins“ den fallstudienhaften Charakter dieses Artikels bereits vor der Lektüre hervorhebt. Gegen den Text ist außerdem eingewandt worden, dass er die Bilder nicht genug kontextualisiere, obwohl ich genau dies einleitend fordere. Dies ist ein Einwand, der mir nicht ganz einleuchtet, da ich die Bilder in ihren Publikationskontext einordne und darüber hinaus Charuzin in den Kreis der Moskauer anthropologischen Schule. Insgesamt wurde seitens der Tscheljabinsker wiederholt hervorgehoben, dass ich klarer formulieren müsste, was ich eigentlich untersuchen möchte: die Geschichte des ethnographischen Genres, die Perzeption der Bilder oder ihre Rolle in der Wissenschaft? In meiner Dissertation interessieren mich natürlich alle genannten Aspekte, da sie eng miteinander verknüpft sind, aber es ist natürlich richtig, dass ich mich in einem Aufsatz stärker fokussieren sollte. In der Endversion des Textes habe ich Charuzin als Fallbeispiel und sein Verhältnis zur Moskauer Schule viel stärker in den Mittelpunkt gerückt. Ich habe auch die Anregung aufgegriffen, meinen Blick stärker auf das Machtverhältnis zwischen Photograph und Objekt zu richten. Auf den überzeugenden Vorschlag, ich sollte meine Perspektive stärker auf die Photographie als Instrument innerhalb der Ethnographie und den Wandel dieser Verwendung richten, kann ich nur erwidern, dass mich diese Frage in meinem Dissertationsprojekt sehr interessiert. Im Rahmen dieses Aufsatzes konnte ich aber leider nur am Rande auf diesen Punkt eingehen. Auch die unterschiedlichen Adressaten der Bilder interessieren mich sehr, die ich in diesem Aufsatz nur streifen konnte.
Von den Baseler Kollegen wurde kritisiert, dass ich kaum Sekundärliteratur über die Kasachen herangezogen hätte und dass eine Einordnung der Inneren Horde in die Geschichte des Russländischen Imperiums fehle. Beide Punkte haben einen festen Platz in meiner Dissertation,
aber in diesem kurzen Artikel habe ich aufgrund der vom Herausgeber bestimmten Kürze des Artikels den Fokus in erster Linie auf die konkrete Einordnung Charuzins in sein wissenschaftliches Umfeld und seine konkreten „Forschungsergebnisse“ in Bezug auf die Innere Horde gerichtet.
Das von den Baseler Kollegen angesprochene Wechselverhältnis zwischen Photographien und Zeichnungen interessiert mich sehr, und auch diesem Punkt wird ein Kapitel in meiner Dissertation gewidmet sein. In diesem Aufsatz musste ich mich sowohl aus Platzgründen als auch aus konzeptionellen Gründen auf eine ganz bestimmte Bildauswahl beschränken. Die Anregung, ich könnte die Verstrickung von Photograph und Wissenschaftler noch stärker herausarbeiten, nehme ich gerne an. Für den Fall Charuzin erscheint mir leider die Quellenlage
zu dürftig, aber ich hoffe sehr, dass ich diesen Punkt in meiner Dissertation an anderen Beispielen genauer analysieren kann. Außerdem wurde die Frage aufgeworfen, ob es „Regeln für wissenschaftliches Arbeiten“ gäbe, die Rückschlüsse über die Auswahl der Portraitierten zuließen. Leider reflektieren die Wissenschaftler in den Quellen kaum über Fragen wie diese, die mich sehr interessieren. Der Moskauer Zoologieprofessor A.P. Bogdanov problematisiert in seiner Schrift „Antropologičeskaja fiziognomika“ (Moskau 1878) aber ausführlich, dass es außerordentlich schwierig sei, ein besonders typisches „Exemplar“ einer Volksgruppe zu finden
und das diese Auswahl höchst subjektiv sei.
Die von den Baselern aufgeworfene Frage, ob es möglich sei, eine visuelle Wissensgeschichte z.B. über die Kasachen zu schreiben ohne den damaligen Forschungsstand über die Kasachen einzubeziehen, hat mich in den letzten Monaten sehr beschäftigt. Es ist natürlich völlig klar, dass ich das damalige textuell hergestellte, sehr stereotype Wissen nicht gänzlich unberücksichtigt lassen kann, und dass ich es brauche, um meine Bilder zu interpretieren. Die Frage ist für mich, wie systematisch ich das verfolgen muss. Diese Frage habe ich kürzlich mit einigen Kolleginnen im Rahmen einer Projektpräsentation am Davis Center in Harvard diskutiert, wo ich sehr bestärkt wurde, mir im Vorhinein keine zu engen Vorgaben zu machen und zunächst erst mal ganz tief in das mir bereits vorliegende Material einzusteigen. Abschließend nochmals vielen Dank an alle für die vielen hilfreichen Anregungen – besonders für den interessanten Hinweis auf Martin Hellmold, dessen Arbeiten ich bisher noch nicht wahrgenommen hatte.
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Besprechung des Aufsatzes von Laura Elias „Der ethnografische Blick:
Aleksej Charuzins fotografische Inszenierung der Inneren Horde“
Einleitend wird der Text von Laura Elias als Endergebnis mehrerer Version gesehen, der bereits von den Kollegen in Čeljabinsk besprochen wurde und der in dem Fachjournal Fotogeschichte erscheinen wird. Das čeljabinsker Protokoll vom Dezember letzten Jahres war wohlwollend-kritisch und so sollten auch an der Retraite Leseeindrücke gesammelt und der Text offen und kritisch diskutiert werden.
Der vorliegende Text behandelt ein Kapitel von Laura Elias’ Dissertation, in dem der Foto-graf Aleksej Charuzin unter mehreren Fotografen einen zentralen Platz einnimmt; nicht zuletzt aufgrund der günstigen Quellenlage: Die verwendeten Fotografien sind in einem zeitgenössischen Kompendium publiziert worden und werden von Texten begleitet, die den zeitgenössischen anthropologisch-ethnologischen Kontext aufzeigen. Zur Orientierung wird der Ausgangspunkt des Dissertationsprojektes benannt. Die Untersuchung beschäftigt sich mit der Abbildung des Fremden in Zentralasien im Zeitalter der frühen Fotografie im späten Zarenreich. Im vorliegenden Aufsatz steht die Verzahnung mit der Wissensgeschichte im Zentrum; die Frage der Reproduktionsformen von Wissen stellt ein gegenwärtiges Hauptinteresse der Doktorandin dar.
Auf allgemeines Interesse der Leserschaft stiess die von Laura Elias bilanzierte Affirmation des Rassenkonzepts durch die „liberale Anthropologie“ der Moskauer Schule im späten 19. Jahrhundert. Kritisiert wurde die verwendete Sekundärliteratur. Insbesondere in Bezug auf die Kasachen gäbe es aktuellere Publikationen, als die zentral zitierte Untersuchung von Martha Brill Olcott (Stanford 1987). Zudem wäre eine Einordnung sowohl in die Geschichte des Zarenreichs unter russischer Herrschaft als auch in die Auseinandersetzungen mit dem Nomadentum wünschenswert. Hier gibt es seit über zehn Jahren eine Fülle an englisch-, deutsch- und russischsprachiger Literatur.
Dem wurde entgegnet, dass der gegenwärtige Forschungsstand zu den Kasachen nicht im Fokus stünde, sondern vielmehr die Debatten der Zeit von Untersuchungsinteresse seien. Dieser Ansatz, die Frage nach der Produktion von Wissen, sei tatsächlich sehr interessant und bringe neue Erkenntnisse, entkräfte jedoch nicht den Einwand, dass sich die Autorin im aktuellen Forschungsstand positionieren müsse.
Es wurde die Frage aufgeworfen, in welchem Wechselverhältnis sich das Medium Fotografie zu anderen darstellenden Medien wie beispielsweise Zeichnungen oder Historienmalerei verhalte. Lässt sich eine visuelle Vorprägung erkennen?
Dies provozierte den Vergleich zum Projekt der Kollegin Nadine Freiermuth-Samardčić, die in ihrer Untersuchung zur Fotographie aus dem belagerten Sarajevo das Prinzip der „Ästhetischen Kennung“ (Martin Hellmold) fruchtbar gemacht hat. Lässt sich dieses Konzept auf Elias’ Projekt übertragen und das (Un-)Spezifische des russischen Blicks aufzeigen?
Es wurde angemerkt, dass die Bildauswahl im vorliegenden Text über das Genre geschehe. In Kombination mit der analysierenden Beschreibung, die der Autorin gut gelungen sei, erfüllten die Fotografien sowohl illustrative als auch argumentative Funktionen. Allerdings könne die berufliche Verstrickung – der Fotograf als Wissenschaftler – noch stärker herausgestellt werden.
Hierbei sei an das Statement der Autorin erinnert. Eine bildimmanente Interpretation der Fotografien ohne Kontextwissen (wie beispielsweise Autor, Entstehungsumstände, Ver-wendungszusammenhang, Bildunterschrift) sei schwierig bis unmöglich. Dieser pessimistische Einstieg wurde bedauert. Gleichzeitig sind sich die Diskutanten der schwierigen Quellensituation bewusst. Es wird die generelle Aussage von Susan Sontag zitiert, wonach die Herausforderung der Bildanalyse mit dem Fortschreiten der Zeit steige. Als Hilfestellung wurde die Frage nach dem Wissen über Instruktionen, die die Fotografen möglicherweise erhielten, gestellt. Gab es „Regeln für wissenschaftliches Arbeiten“, die den Prozess der Motivauswahl nachvollziehbar machen lassen? Als „kleine Kritik“ wurde auf die Divergenz zwischen den methodisch-theoretischen Begriffen von „Wissensfeldern“ (S. 1) und dem Wissen als „wandelbares historisches Phänomen“ (S. 3) hingewiesen, die in dieser Form für den aufmerksamen Leser unverständlich bleibe. Ähnliches treffe auf die indigene Elitendiskussion (S. 13ff) zu, wo der Leser im Unklaren über die Repräsentativität einer Typen-Zuschreibung anhand der indigenen Eliten bleibe. Es wird darauf hingewiesen, dass dies genau die Grenze sei, an der Wissenschaftler Gefahr laufen, ihren analytischen Blick durch heutiges Wissen zu verstellen.
Die Frage nach der Position des Autors führt die Diskussion an den Anfangspunkt zurück: Ist eine Wissensgeschichte ohne Verweise auf objektive Rahmenbedingen und ohne Einbezug der wissenschaftlichen Metaebene zum Forschungsstand der Kasachen möglich? Abschliessend steht die Frage nach den Vorteilen des wissensgeschichtlichen Ansatzes im Raum und ob dieser im vorliegenden Artikel überzeugend eingelöst wurde. Unter den Diskutanten wurde der Ansatz als Weg aus dem Dilemma der Quellenlage positiv beurteilt. Darüberhinaus mache er die Unterscheidung zwischen den Wissensfeldern der Ethnografie bzw. der Anthropologie möglich. Dabei bestehe allerdings die Gefahr, dass die Fotos rein illustrativen Charakter bekämen. Dem könne man jedoch durch das Aufzeigen ihres multiplen Verwendungscharakters (Ausstellungen, Publikationen etc.) beikommen. Allerdings sei eine Historisierung der Verwendung der Bilder jedoch zwangsläufig ein Schritt weg von der bildimmanenten Fotoanalyse.
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