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Archive - Ostdeutsche Studierende in der Sowjetunion - Comments

Basel - 04.07.2011 07:14
Textdiskussion: ?Ostdeutsche Studierende in der Sowjetunion. Transnationale Raeume, blockinterne Ordnung und berufliche Karrieren im Kontext des Kalten Krieges (1950er und 1960er Jahre), Oxana Nagornaja, Tscheljabinsk.

Das Projekt beschaeftigt sich mit einem wichtigen Thema, das erstaunlicherweise bisher in der Forschung nicht bearbeitet wurde. Der Text ist kohaerent und klar strukturiert. Bemerkenswert ist die Idee, Menschen als Traeger von Symbolen und Bildern zu betrachten, obwohl dies nicht durch den ganzen Text konsequent durchgehalten wird. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass mehrere Themen angesprochen werden, was bei den Teilnehmern die Frage hervorgerufen hat, ob nicht zu viele Elemente gleichzeitig untersucht werden moechten. Es wurden vier grosse Themenkomplexe identifiziert:
1. Die Studierenden der DDR in der Sowjetunion und ihre Erfahrungen und Lebenswelten.
2. Die Frage nach den Karrierewegen dieser Studierenden nach ihrer Rueckkehr aus der Sowjetunion und die Bedeutung dieses Studiums fuer sie bis heute.
3. Die politischen Ziele und Interessen, die sowohl von der Sowjetunion- als auch von der DDR- Fuehrung mit dem Studierendenaustausch verfolgt wurden.
4. Die Funktion und Bedeutung von Erinnerungen ehemaliger DDR-Studierenden in der Sowjetunion fuer die Konstruktion bzw. Narration einer ?DDR-Identitaet?.
Die Teilnehmer haben folgende Aspekte besonders interessant gefunden:
- Die Arbeit mit dem Generationskonzept ist ein vielversprechender Ansatz, wie in der DDR-Forschung schon erprobt. Allerdings sollte mit dem Begriff ?HJ-Generation? und dem Formulieren ihrer hier angesprochenen angeblichen Eigenschaften (?Bereitschaft zu Disziplin, Loyalitaet, und Selbsterziehung?, S.2) aufgepasst werden.
- Methodisch sind der kollektivbiographische Ansatz, eine biographische Darstellung anhand von Orten und Ortswechseln (DDR ? Sowjetunion ? DDR, bzw. Wohnheime) und das Konzept der Lebenswelten sehr interessant.
- Der transnationale Zugang und die Verflechtung der ostdeutschen und sowjetischen Perspektiven werden begruesst.
- Das Freizeitverhalten in transnationalen Kommunikationsraeumen wird als aussichtsreiches Forschungsobjekt angesehen.
- Eine grosse Staerke des Projektes ist die multiperspektivische Herangehensweise und Fragestellung, die zu einer transnationalen Kulturgeschichte fuehren.
Kritik haben die Teilnehmer in Bezug auf folgende Punkte geuebt:
- Der Begriff einer ?ostdeutschen? Identitaet muesste kritisch ueberdacht werden, denn das Konzept laesst sich eher fuer die Zeit nach 1989 anwenden.
- Es sollte kritischer gefragt werden, wer ueberhaupt ins Ausland geschickt wurde, wer in der Sowjetunion studieren konnte und wollte und warum, welche Kontakte mit der sowjetischen Bevoelkerung tatsaechlich moeglich bzw. unmoeglich waren.
- Es muesste mehr auf die deutsch-sowjetischen Beziehungen in ihrem historischen Kontext eingegangen werden. Diese waren von sowjetischer Seite vom Antifaschismus und Wandel des Bildes der Deutschen (von Kriegsgegnern zu Besiegten und dann zu ?Freunden?) gepraegt.
- Es bleibt unklar, wie repraesentativ die ausgewaehlte Studierendengruppe fuer eine spaetere ?DDR-Identitaet? ist. Diese Studierenden stellten nur einen kleinen Teil der Gesellschaft dar und gehoerten zu einer Elitengruppe. In anderen gesellschaftlichen Schichten koennte die Wahrnehmung und Gestaltung einer ?DDR-Identitaet? anders sein.
- Die Rolle der Zaesuren (1953, 1956, 1961, 1968) sollte im Hinblick auf das Thema der Ostblockidentitaet staerker besprochen werden. Es bleibt auch unklar, ob es sich dabei um den Widerhall in den Erinnerungen oder um die Einwirkung des politischen Zeitgeschehens auf die konkreten Biographien handelt.
- Die Begriffe Kollektivbiographie, Transnationalitaet und Wissenstransfer koennten noch schaerfer definiert werden. Nicht eindeutig ist auch die Begruendung, warum die Arbeit zum Bereich der ?imperial studies? gehoert.
- Das Raumkonzept muesste ebenfalls noch besser definiert werden: welche Universitaeten und welche Staedte untersucht das Projekt? Handelt es sich um eine Haupt- oder Provinzstadt? Je nachdem, welche Region der Sowjetunion die Studierenden aus der DDR erlebten, koennten die Ergebnisse naemlich anders aussehen.
- Es waere wichtig, Vergleichsgruppen von DDR-Studierenden den vorgeschlagenen ?Kontrollgruppen? entgegen zu setzen, um zu sehen, ob es signifikante Unterschiede in den Identitaetsbildern derjenigen gibt, die in der Sowjetunion studierten und derjenigen, die dies nicht taten.
- Die tautologische Bestaetigung, dass die DDR-Eliten durch ein Studium in der Sowjetunion ihre Karrierechancen verbesserten bzw. ihren Elitenstatus festigten, sollte vermieden werden.

Die Gruppe schliesst die lebendige Diskussion mit dem Vorschlag ab, dass die Forscherin das Thema der Tourismus- und Freizeitkultur (z.B. die sozialistischen Ferienlager) staerker ins Projekt einbinden koennte, da diese fuer das Identitaetskonstrukt eine wichtige Rolle spielten.

Protokoll: Alexis Hofmeister und Sandrine Mayoraz, Universitaet Basel

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coordinators of the project: kulthist@chelcom.ru, webmaster: