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Wenn ich gro? bin, werde ich Kosmonaut!

?Beherrschter Kosmos? und ?Gl?ckliche Kindheit? galten in der sowjetischen Gesellschaft gleichzeitig als eine zielsetzende Einstellung und auch als ein symbolisches Konzentrat von Hoffnungen und Erwartungen, eines Freiheitsgef?hls, mit denen in kollektive

08.10.2009, 18:00

Larissa Konovalova
Doktorandin der Staatlichen Universit?t S?dural
?eljabinsk

Wenn ich gro? bin, werde ich Kosmonaut!
Kosmoskult in den Machtstrategien und in Kinderwahrnehmung am Ende der 1950-60 er Jahre (1).
?Beherrschter Kosmos? und ?Gl?ckliche Kindheit? galten in der sowjetischen Gesellschaft gleichzeitig als eine zielsetzende Einstellung und auch als ein symbolisches Konzentrat von Hoffnungen und Erwartungen, eines Freiheitsgef?hls, mit denen in kollektiver Wahrnehmung eine Zukunftsvorstellung verbunden war. Darum verk?rperte sich in einer Gruppe von Sch?lern, die in selbstgemachten Raum-Anz?gen und -Helmen und an einer Erster-Mai-Demonstration teilgenommen hatten, ein Optimismus im Quadrat (2). Das Schicksaal von vielen, nach dem 1. April 1961 geborenen Jungen, war im direkten Sinne durch den Namen Gagarins gepr?gt: Hunderte und Tausende Frauen beschlossen, ihre S?hne ?unbedingt Jurij? zu nennen (3).
Das Thema Kosmos ist in der Historiographie durch eine umfassende Literatur vertreten. Den gr??ten Teil davon bildeten bisher vergleichende Forschungen ?ber konkurierende propagandistische Strategien in der UdSSR und in der USA w?hrend des ?Kalten Krieges? (4). In neuesten Arbeiten zeigt sich das Interesse am Kosmos in der Alltagsgeschichte der sowjetischen Gesellschaft (5), so wie auch in den Versuchen, den Prozess der Demontage und Erneuerung des Kosmonautenkultes in der Postsowjetzeit darzustellen (6).
Diese Artikel sind der Versuch, den Kosmoskult anhand interdisziplin?rer Methodologie als einen Text zu betrachten, durch den das Interpretieren von Machtstrategien und diskursiven Praktiken, die die Kindheit formten, als auch ihre Aneignung und ?Verwertung? in der Kinderwahrnehmung erm?glicht werden. Dabei wurden von mir haupts?chlich Quellen lokaler Herkunft ausgewertet: Materialien aus dem Staatlichen Archiv des Gebietes ?eljabinsk (OGA?O): Verordnungen und Erl?sse des Ispolkoms (Ispolnitel?nyj komitet) und St?dtischer Abteilung des Bildungswesens (GorONO), rechenschaftliche Dokumentation des Palastes der Pioniere und Sch?ler namens Krupskaja, Stenogramme von Radiosendungen f?r Kinder aus dem Fond des Rundfunks. Ausserdem st?tze ich mich auf gedruckte lokale Massenmedien ? Zeitungen ??eljabinskij rabo?ij? und ?Stalinskaja smena?. Wichtige Informationen ?ber die Installation des Kosmoskultes im Kinderleben liefert eine Fotokollektion im Museum der Schule ? 1 in ?eljabinsk. Um den Kosmoskult in der Kinderwahrnehmung zu rekonstruieren, verwende ich Beispiele, die in den Zeitschriften ?Murzilka? und ?Ural?skie ogon?ki? ver?ffentlicht wurden, Beispiele kindlicher schriftlicher und gezeichneter Werke, so wie auch autobiographische Interviews mit ?eljabinsker Stadtbewohnern, die in den Jahren 1945-1955 geboren wurden.
Zun?chst sind chronologischer Rahmen und Alterskategorien zu bestimmen. Der untere Zeitpunkt ist das Jahr 1957, gekennzeichnet durch den Start des ersten Sputnik, der obere im Juni 1971, der in die Geschichte eingegangen ist aufgrund der mi?lungenen Landung des Raumschiffes ?Sojuz-11?, wodurch gro?e Resonanz in der Gesellschaft erregt wurde. In diesem Zeitraum spielt der Tod Gagarins (1968) eine wichtige Rolle, weil dadurch der Kosmoskult an Romantik verloren hat, die hat sich in der Gestalt des ?Pionier des Weltalls? personifizierthatte. Subjekte meiner Untersuchung sind Kinder im Alter von 7 bis 13(14) Jahre (7), Sch?ler und gleichzeitig kleine Stadtbewohner, die zwar das Problem der zuk?nftigen Berufswahl noch nicht ernst genommen haben, aber schon eine ?Agentenmission? erf?hlen mussten, die die Gegenwart mit kommender ?kommunistischer Zukunft? verband.
Seit 1957 f?llte sich der Raum des allt?glichen Kinderlebens mit dem Thema Kosmos, waren es Kletterger?ste in Raketenform auf den Spielpl?tzen, oder selbstgebastelte Raketenmodelle in den Schulklassen (8), ?Sch?tze? aus Kinderkollektionen ? Briefmarken, Erinnerungszeichen (Zna?ki) und Wimpel. Kosmos pr?gte den haupts?chlichen Inhalt des neuen Literaturgenre ? sowjetische Phantastik (9). Schlie?lich, der H?hepunkt eines ritualisierten Wunders ? das Neujahrsfest, war kaum ohne den Besuch von ?Marsbewohnern? oder einen inszenierten Mondflug (10) u.s.w. vorstellbar. Allgemeines Eindringen des Kosmoskultes hat sogar die Topographie vieler sowjetischer St?dte ver?ndert; so wurde, zB in ?eljabinsk der Park der Kultur und Erholung (Park Kul?tury i otdycha) zu Gagarins Ehren umbenannt (1962).
Der Kosmoskult institutionalisierte sich in zahlreichen technischen Zirkeln und Fliegerklubs, die in den 1950-60er Jahren in jedem Bezirk in den Kulturpal?sten und Hausverwaltungen gegr?ndet wurden. Die St?dtische Regierung setzte gro?e Hoffnung darauf, <>dass sie eher gegen kindliche Nicht-beaufsichtigung k?mpfen m?sse, als die Bildungsaufgabe, ihren Z?glingen spezielle praktischen Fertigkeiten zu vermitteln, zu vernachl?ssigen.<> Gleich nach der neuen Verfolgungswelle gegen Gl?ubige und Kirche, wurde in mehreren Gro?st?dten der UdSSR (11) mit der Errichtung von ?Himmelstempeln ? ? Planetarien zum Zwecke der Popularisierung wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse und antireligi?ser Propaganda begonnen. Das Planetarium in ?eljabinsk ?ffnete 1956 seine T?ren f?r Besucher (12). Es befand sich damals im Stadtzentrum, im umgebauten Geb?ude der Alexander-Nevskij-Kirche, in einem Kinderpark auf dem Aloe Pole Platz, wo vorher eine technische Station f?r Kinder (13) geplant war. Die Er?ffnung des Klubs der ?Zuk?nftige Kosmonauten? im Palast der Pioniere und Sch?ler, namens Krupskaja 1962, in der Atmosph?re des allgemeinen Interesses f?r den Kosmos, war ein gesetzm??iges Ereignis im Leben seiner Z?glinge (14). Als einzigartiges ?normatives Dokument? galt ein ?Kosmisches Buch? (15). Es enthielt von den Mitgliedern zu akzeptierende ?Gebote?, die mit den ?blichen Regeln f?r Pioniere gleichlautend waren (16). Die Struktur des Klubs hatte viel Gemeinsames mit Milit?rhierarchie: alle Zirkel im Palast der Pioniere wurden nach Fliegerstaffeln umbenannt, und nach Stellen eines Sch?tzen/Funkers, eines Steuermannes, Komamndeuren und eines Staboffiziers (17). Im Gro?en und Ganzen, wies die Nomenklatur und die symbolische Struktur des Klubs die Erblichkeit einer auf der Basis des Fliegerkultes geschaffenen Tradition vergangener Epochen nach. Der Erinnerung von Methodikern des Museums im Palast der Pioniere zufolge, ?es war eine ein bischen militarisierte Sache? (18) mit Komponenten physischer Ausbildung. Trotz allem w?re es falsch, den Klub der ?Zuk?nftige Kosmonauten? als eine Form des M?nnerklubs f?r Jungen darzustellen. Seine Teilnehmerinnen, so wie viele M?dchen in der Sowjetunion, verbanden mit dem Kosmos ihre M?glichkeiten zur Selbstverwirklichung in vorwiegend weiblichen Berufen, die von gro?er sozialen Bedeutung waren: ?Alle unseren Jungs wollen Kosmonauten werden, und zum Mond, zur Venus, zum Mars fliegen. Und M?dchen sagen auch, dass sie fliegen wollen, sie wollen ?rzte in den Raumschiffen-Satelliten werden? (19). Kindliches Streben in den Kosmos wurde in den 1950-60er Jahren zum Mittel in den meisten Praktiken der Erziehung und Disziplinierung, sei es Stimulierung und Kontrolle der Schulleistungen, Hygiene, oder physische Ausbildung, etc, gewesen. Schulklassen standen sogar im Wettbewerb bei der Ausf?hrung ?gesellschaftlich-n?tzlicher? Aufgaben f?r den besonders gesch?tzten Titel ?Sputnik des Siebenjahrplanes? (20). Starke Wirkung des Kosmoskultes auf das Kinderpublikum ist durch seine Ausrichtung auf einen der empfindlichsten ?Punkte? der Kinderpsychologie, n?mlich dem Wunsch ?seinem Held? ?nlich werden, zu erkl?ren.
In der von Massenmedien kultivierten Gestalt, die sich in der Mitte des Kosmos-Kultes befand ? in der Gestalt von Gagarin, und den Schriftstellern P. Vajl? und A. Genis zufolge, verwirklichte sich der Glaube an sowjetische Werte mit maximal konzentrierter Kraft (21). F?r Erwachsene verk?rperte Gagarin ?mit seiner Vorzeigebiographie als einfacher Junge vom Land das sogenannte ?russische Wunder?, dass n?mlich der Sowjetunion innerhalb k?rzester Zeit der ?Sprung vom Muzhik zum Sputnik??(22) gelungen ist. F?r Kinder aber stand im Vordergrund, dass er ein Vorbild des ?flei?igster Sch?ler?war: ?Jurij Gagarin war ein guter Sch?ler, bevor er ein Kosmonaut wurde. Er mochte Physik, Matematik, Technik. Ohne sie ist die Eroberung des Weltalls unm?glich? (23). Selbstverst?ndlich hatten Kosmonauten keine, sogar nicht mal winzige Fehler, und es war allgemein bekannt, dass ?sie gut und klug sind? (24). Daher fehlen in den Massenmedien die Beweise f?r hohe schulische Leistungen Gagarins und anderer Kosmonauten ? Tageb?cher, Fragmente der Aufs?tze, und schlie?lich das Reifezeugnis, und deren Existenz sollte nicht von den Kindern bezweifelt werden. Gem?ss dieser Schema musste ein Pionier ? um ins Weltall zu fliegen - gesund und k?rperlich stark werden, flei?ig lernen, und den Rest machen Wissenschaft und Technik, und - nicht mehr, nicht weniger - das ganze sowjetische Volk: ?Alles, was unsere Heimat besitzt, hat sie ihrem Sendboten gegeben, wenn sie ihn f?r den ersten Raumflug ausgestattet hat. Beste Forscher, Konstrukteure und bef?higte Arbeiter ? eine gro?e Truppe von wissenden und begabten Menschen bereitete das Raumschiff ?Vostok? und seinen Kapit?n vor? (25). Der Raumflug Gagarins wurde als Entwicklungsergebnis eines globalen historischen Szenarios dargestellt, das seinen H?hepunkt im Aufbau des Kommunismus erreicht: ?? es kam das Jahr 1917. Unseres arbeitsreiches Volk, von derKommunistischen Partei gef?hrt, vollbrachte die weltgr??te Revolution und hat den Umbau unseres Landes begonnen. ? Gem?ss Leninplan haben Tausende einfacher Menschen Kenntnisse erworben. ? Niemand zweifelte daran, dass ein sowjetischerB?rger als erster ins Weltraum fliegen wird? (26). Man nutzte den Kosmos f?r eine Bravade, um den Vorrang sowjetischer Wissenschaft und ihres Monopolrechtes auf alle bedeutenden Entdeckungen und Leistungen zu best?tigen, wozu das Schulbuch - vor allem - den Bau von Atomkraftwerken und den Start des ersten k?nstlichen Erdesateliten beschrieb (27). Die Eroberung des Weltraums von einem Menschen ist ein entscheidendes Argument f?r materialistische Paradigma gewesen und wurde blitzschnell von ?Agenten? antireligi?ser Propaganda zu ihrer ideologischen Ausr?stung angeeignet. So, beispielsweise, erz?hlte eine Sch?lerin der siebten Klasse N.Gil?fanova einem Radiojournalisten von einem Schulabend zum Thema ?Mensch und Kosmos?: ?Wir wollen erz?hlen, dass der Wirt des Kosmos ein Mensch und kein Gott ist und sein wird. Wo soll er dort sein, wenn er dochvom Menschen erfunden wurde. Jungen ? werden am Fernrohr Dienst haben. Jeder darf dorthin schauen, um sich vom Fehlen des Gottes im Himmel zu ?berzeugen? (28).
Der Mechanismus der R?ckverbindung zu Jirij Gagarin und anderen Kosmonauten wurde von Massenmedien, P?dagogen und Funktion?ren der Pionierorganisation in damals ?blicher Briefwechselform inszeniert. Die ?berall verbreitete Praktik des kollektiven Briefeschreibens an Helden des Zweiten Weltkrieges, an Arbeitsveteranen, an Zeitzeugen aus sozialistischen L?ndern und an Kosmonauten diente der Integration der Kinder in gesellschaftliches und politisches Leben und wurde allgemein bekanntgemacht (29). Die von Schulzensur ?durchleuchteten? Kinderbotschaften zeigen ein Beispiel eines formalisierten Kennwortes zum Ausdruck des Patriotismus und deren Aneignung die Kinder in den wichtigsten Lebensaufgaben demonstrieren mussten. Teilnehmer der von mir erw?hnten Klubs der ?Zuk?nftige Kosmonauten? haben an den ersten Raumflieger Gagarin und alle?Himmelgebr?der? ehrenvolle Mitgliedsausweise verschickt (30). Gagarin ?antwortete? auf den Seiten der Kinderperiodika in patriotisch-aufkl?render Narativform, wobei er ?ber den Frieden, die B?rgerpflicht, und die Rolle der Schule im Leben der nachwachsenden Generationen sprach: ?Lieber Freund, falls Du Schwierigkeiten oder Mi?erfolg hast, wird das Kollektiv dir immer helfen? (31). Das Besuchsprogramm von Kosmonauten in irgendeiner Stadt enthielt - in aller Regel - den Besuch in einer der ?rtlichen Schulen.
Nur Erfolge sowjetischer Kosmonautik waren beachtenswert fuer das Kinderpublikum. Die Zeitschrift ?Murzilka?, die den Lesern ?ber den Start des ersten Sputnik am 4. Oktober 1957 berichtete, schrieb dem Versuchshund mit dem Rufnamen Lajka fast intellektuelle Eigenschaften zu: ?Der Hund wurde vor dem Flug lange trainiert. Er hat gelernt, in kleinen Portionen und zu bestimmten Zeiten zu essen. Er wurde an kr?ftige St??e beim Start der Rakete gew?hnt. Und des ganzen Fluges war Lajka ruhig? (32). Aber dar?ber, dass der ?erste Raumschiffgast? nicht zur Erde zur?ck kehrte, wurden die Kinder erst sp?ter ? im Jahre 1960 - informiert, als man den Start des dritten Raumschiff-Satelliten mit Hunden (Rufnamen Belka und Strelka), und die Landung preiste: ?Fr?here Erdsatelliten kehrten nicht zur?ck. Nun ist es unseren Forschern gelungen, ein Raumschiff aus dem Kosmos zur?ck zu holen? (33). Erwachsene durften nicht die Allm?chtigkeit sowjetischer Wissenschaft vor den Augen der Kinder untergraben. In der Folge gewann der Kosmos durchaus Eigenschaften einer geheimnisvollen Naturerscheinung, die gleichzeitig gefahrlos, erforschbar und vom ?Sowjetmensch? beherrschbar ist, worauf in den1960-er Jahren eine ?Romantiker-Hymne? ?Auf dem Mars werden auch Apfelb?ume bl?hen? (I na Marse budut jabloni cvesti?) (34) hinwies. ?Guru? von Massenmedien und Periodika f?r Kinder haben versucht mit propagandistischer Euphorie das Informationsvakuum von Fakten, die mit dem Kosmos zu tun hatten, zu tarnen. Nachrichten, die f?r die Ver?ffentlichung vor dem Kinderpublikum nicht geeignet waren, wurden mit abstrakten Begriffen und Beiworten wie ?Traum?, ?wunderbar?, ?geheimnisvoll? u.a. ersetzt (35). Dies verminderte dennoch seine Anziehungskraft nicht und, ganz im Gegenteil, hat kindliche Kreativit?t zur Schaffung eines ?eigenen? Kosmos und zum seinen Einbau in die kindliche Lebenswelt stimuliert (36). Der Kosmos-Kult transformierte sich infolge gedanklicher und sinnlicher Bearbeitung in der Kinderwahrnehmung, und angesichts seiner Funktion und des Inhaltes in ein neues ?Produkt?, das, einerseits, ?ber die Effizienz der Machtpraktiken, und andererseits, ?ber kindliche Strategien seiner ?Utilisation? eindeutige Schlu?folgerungen zulie?.
Bevor ich zur Quellenanalyse komme, zur Autorschaft, die den Kindern geh?rt, muss ich ihren niedrigen Erhaltungsgrad beachten, ob ihrer Gew?hnlichkeit und Unf?higkeit zum Konkurieren mit famili?ren und schulischen Bildern, die bedeutende Erlebnisse fixierten und darum aufbewahrt sein m?ssten. Aus diesem Grund bin ich gezwungen, mein Forschungsinteresse auf ver?ffentlichte Materialien zu richten, wobei das ?Management? von Erwachsenen und die Rolle des ?sozialen Auftrages? bei ihrer Darstellung beachtet werden muss. Kindertexte, die an verschiedenen Wettbewerben teilgenommen haben, waren meistens nach festen Regeln geschaffen und entsprachen den propagandistischen und p?dagogischen ?Gew?hnungsstrategien? der Anpassung ihrer Verfasser an den offiziellen Diskurs, vor allem zur Au?enpolitik. Die Rolle des Siegers auf den von Kindern ausgedachten Weltraum-Schlachtfeldern spielte zweifelsohne die Sowjetunion. So E.Belen?kij, Sch?ler der 6. Klasse, der einen Dialog zwischen den Planeten ? dem Mars und dem Jupiter - inszenierte, und, hinsichtlich des zweiten, in einem schon provokativen Ton schrieb: ?Du wei?t perfekt, Mars, dass es keine Kraft gibt, die imstande ist sowjetische Raketen zu bremsen. Sie werden gemacht von solchen Menschen, die ihre gesetzten Ziele stets erreichen. Scheinbar hast Du das vergessen, oder?? (37)
Eine andere Form kindlicher Wahrnehmung und Auffassung ist das Zeichnen, das als pers?nliche Kulturpraktik (38) verstanden wird. Durch Interpretation einer Zeichnung als eines freien fantastischen Text (39), wird man den Zugang zur ganzen Summe von Erfahrungen und den Schl?ssel zur inneren psychosozialen Entwicklung ihres Autoren bekommen. Zeichnungen von ABC-Sch?lern charakterisieren sich durch eine optimistisch blau-gelb-orange Farbpalette. Ihre Motive und Kompositionen sind der Tradition der sowjetischen Bildenden Kunst der 1960-er Jahre, vor allem bei Wandbildern und Mosaiken, Plakaten und Ansichtskarten (40), sehr ?hnlich. Eines der typischen Sujets stellte dar, wie eine Rakete in den dunkelblauen Himmel startet und zum Mond strebt (41). Die Inschrift ?UdSSR? an ihrem Bord, die Raketenform und ihre Konstruktion (42), sprechen vom Streben des Verfassers nach faktologischer P?nktlichkeit. Bemerkenswert ist, dass es im von Kindern ausgedachten Kosmos keine Erwachsenen gibt: Die K?rpergr??e gezeichneter Kosmonauten ist offensichtlich kindgem?? (43). Dieser Kosmos war keinen Physik-Gesetzen untergeordnet; dort wurde alles, was kindliche Phantasie umfassen konnte, erlaubt. Somit galt der geschaffene Weltraum als eine B?hne f?r ein inneres Drama des Kindes, das in seiner Abh?ngigkeit von den Erwachsenen stand: ?Tanja t?glich von einem / Mondflug tr?umt. / Aber die Mutter erlaubt ihr nicht / Weit weg alleine zu fliegen?? (44) (Tanja ka?dyj den? me?taet / O polete na Lunu. / Tol?ko mama ne puskaet / V dal?nij put? ee odnu?). Wobei die Befreiung vom konrollierenden Blick der ?W?chter? als Ergebnis des nat?rlichen Kompromisses erwartet wurde: ?Endlich hat die Mutter/ ihrer Tochter erlaubt zu fliegen, / Aber nicht unartig sein / Und gesund bleiben ?? (45)(Nakonec-to razre?ila / Mama do?ke poletet?, /Tol?ko ?toby ne ?alila / I ne vzdumala bolet? ?).
Die Notwendigkeit der Befriedigung eigener Bed?rfnisse und des Strebens nach selbstst?ndigem Handeln hat sich von Kindern in ihren Versuchen empirischer Weltraumerschlie?ung mithilfe zug?nglicher Mittel (das Rakete-Basteln) realisiert. So C. Tarannik, der Sch?ler der 2. Klasse aus der Stadt Mara, der in seinem Brief an die Zeitschrift ?Murzilka? Erfahrungen ?ber eigenes Basteln und die Flugprobe mitteilte, und ?ber die Folgen von ?bertretungen der Erlaubnisgrenzen schrieb: ?Das war am 5. April. An diesem Morgen bin ich fr?h aufgewacht, habe mich gewaschen, gefr?hst?ckt, und die Hausaufgaben gemacht. In meiner Freizeit habe ich angefangen eine Rakete zu erfinden. Ich habe ein Knete, eine Feder, ein Blatt Papier und ein Gummiband genommen. ? Als die Rakete fertig war, habe ich daran einen Faden befestigt und angez?ndet. Als das Feuer das Papier erreicht hatte, flog meine Rakete nach oben. Die Feder hat die Decke durchschlagen ? Pappe hat gebrannt. Ich habe so eine grosse Angst gehabt. Ich dachte, es wird zum Feuer f?hren, aber alles hat gut geendet. F?r diese Erfindung wurde ich von der Mutter kr?ftig bestraft (46).
Stabilit?t jedes ideologischen Modells, darunter auch des Kosmos-Kult, kann durch Zeiterprobung gepr?ft werden. W?hrend der Durchf?hrung autobiographischer Interviews bin ich auf eineparadoxe Situation gestossen ? das Thema Kosmos fehlte in den erz?hlten Geschichten und wurde nur vom Interviewer ?aktiviert?. Schlie?lich verwandelten sich die Erz?hlungen in einen Satz von offiziellen Parolen. So hat A.Bergman, der in den1950-60-еr Jahren im Bezirk Metallurgi?eskij wohnte, meine Frage zum ersten Raumflug so beantwortet, dass er dem Aufruf des Radioansagers diese Momente des 12. Aprils 1961 in Erinnerung zu behalten, weil sie schon der ?Geschichte geh?rten? (47), nat?rlich folgte: ?Und danach war Gagarin. Ich erinnere mich an diesen Fr?hling sehr gut, als Gagarin gestartet wurde. Das Wetter war wundersch?n, es war trocken, als Gagarin gestartet wurde? (48). Man kann versuchen, diesen Fakt mit einer gewissen Teilnahmslosigkeit und auch mit dem Fehlen des Kosmos-Kultes im Text pers?nlicher Erlebnisse und Erfahrungen zu erkl?ren: ?Und diese Raketensplitter ? entweder sie gingen an mir vorbei, oder ich habe sie vorbei gelassen? (49).
Der Kosmos-Kult mit seiner charakteristischen kollektivistischen Leidenschaftlichkeit wurde als ein wirksames p?dagogisches und ideologisches Instrument verwendet, das auf totales Konstituieren des Kinderraumes ausgerichtet war. In den Kinderwahrnehmungen ?u?erte er einen Befreiungswunsch von der Kontrolle seitens der Erwachsenen und gleichzeitig zeigte er ein Bed?rfnis nach Selbstst?ndigkeit, die nicht beachtet wurde und darum ein Gleichg?ltigkeitsgef?hl und ?bers?ttigung zur Folge hatten. Vielleicht k?nnte man darin eine Erkl?rung f?r eine Vergessensphase in den 1980er Jahren finden sowie einen nostalgischen aber qualitativ anderen Aufbau in den 1990er Jahren.

1. Dieser Artikel ist im Rahmen des Projekts ?St?dtische Kinderr?ume w?hrend der Tauwetterperiode in ?eljabinsk, 1953-1964?, unterst?tzt von der Gerda-Henkel-Stiftung (Stipendium AZ 03/SR/08), erschienen. Ich bedanke mich herzlich bei Herrn Wolfgang Regeler f?r ?bersetzungskorrekturen.
2. Fotosammlung des Museums der Schule ? 1 in ?eljabinsk. Bild ? 1.
3. ?eljabinskij rabo?ij. 1961. 15. April.
4. Kluge R. Der sowjetische Traum vom Fliegen. Analysevergleich eines gesellschaftlichen Ph?nomens. M?nchen 1997; Schwartz M. Die Erfindung des Kosmos. Zur sowjetischen Science Fiction und popul?rwissenschaftlichen Publizistik von Sputnikflug bis zum Ende der Tauweterzeit. Frankfuhrt, 2003; Asif A. Siddigi, Sputnik and the Soviet Space Challenge. Gaineswille, 2000.
5. R?thers. M. Detstvo, kosmos i potreblenie v mire sovetskich izobra?enij 1960-ch gg.: k voprosu o vospitanii optimizma v otno?enii budu??ego // Oce-vidnaja istorija. Problemy vizual?noj istorii Rossii XX stoletija: Sb. ?eljabinsk, 2008. S.451-472.
6. Gestwa K. Jurij Gagarin ? ?Kolumb kosmosa?. Kul?tura pamjati I kul?t kosmonavtov v transnacional?noj perspective // Traektorija v segodnja: rossip? istoriko-biograficheskich faktov: (k jubileju professora I.V.Narskogo). ?eljabinsk, 2009. S. 329-358.
7. Diese Lebensphase des Kindes wird von einigen Forschern die ?zweite Kindheit? genannt. ?ber unterschiedliche Klassifikationen des Kinderalters siehe: Breeva E.B. Deti v sovremennom ob??estve. M, 1999. S.21.
8. Fotosammlung des Museums der Schule ? 1 in ?eljabinsk. Bild ? 2.
9. Z.B., 1961 ver?ffentlichte die Zeitschrift ?Junyj technik? den Roman von G.Gurevi? ?Procho?denie Nemezidy?. Gro?e Popularit?t erweckten Werke sowjetischer Science-fiction-Autoren A.P. Kazancev ?Vnuki Marsa? (1963), G.S. Martynov ?Zvezdoplavateli? (1960) u.a.
10. ?eljabinskij rabo?ij. 1960. 5. Januar; Prazdnik novogodnej elki. Penza, 1959. S. 22-24.
11. Das erste Planetarium in der Sowjetunion wurde 1929 in Moskau gebaut. 1951 ?ffnete man das Planetarium in Kostroma, 1954 ? in Volgograd, 1959 ? in Astrachan?, 1968 ? in Perm?: http://www.astrogalaxy.ru/732.html. /> 12. Astaf?eva L.V. Planetarij ?eljabinskij // ?eljabinsk: enciklopedija. ?eljabinsk, 2001.S. 650.
13. OGA?O. R-220. Op. 14. D. 54. L. 33.
14. ?eljabinskij rabo?ij. 1963. 13. April.
15. Ibid.
16. Laut dieser ?Gebote?, musste der ?zuk?nftige Kosmonaut? wi?begierig sein, seine Selbstst?ndigkeit zeigen und ?ohne Kinderfrau? auskommen k?nnen, sich ununterbrochen mit etwas besch?ftigen, Sport treiben und mit dem ?Lied befreundet sein?. Siehe: OGA?O. F. 1624. Оp. 1. D. 59. L. 2.
17. OGA?O. R-1282. Оp. 2. D. 247. L. 204.
18. Mitglieder des Klubs der ?Zuk?nftigen Kosmonauten? haben von P?dagogen einer Fliegerschule ?eljabinsk (?VVAKU?) unterrichteten speziellen Fertigkeiten gelernt: marschieren und einen Fallschirm richtig einpacken. Interview mit N.T.Vichareva, Methodikerin des Museums des Palastes der Pioniere und Sch?ler namens Krupskaja. Aufgenommen 12.09. 2008.
19. OGA?O. R-1282. Оp. 2. D. 244. L. 114.
20. Gorit pionerskij ogonek. ?eljabinsk, 1964. S. 25.
21. Vajl? P., Genis A. Sovetskoe barokko // ges. Werke in 2 B. Ekaterinburg, 2003. B. 1. S. 344.
22. Zitat: Gestwa K. Jurij Gagarin ? ?Kolumb kosmosa?. Kul?tura pamjati I kul?t kosmonavtov v transnacional?noj perspektive // Traektorija v segodnja: rossip? istoriko-biograficheskich faktov: (k jubileju professora I.V.Narskogo). ?eljabinsk, 2009. S. 340.
23. OGA?O. R-1282. Оp. 2. D. 244. L. 112.
24. Vajl? P., Genis A. 60-е. Mir sovetskogo ?eloveka // ges. Werke in 2 B. Ekaterinburg, 2003. B. 1. S. 529.
25. Murzilka. 1961. ? 6. S. 6.
26. Ibid.
27. Alekseev S.P., Karcov V.G. Istorija SSSR: u?ebnaja kniga dlja 4-go klassa. M, 1962. S. 146.
28. OGA?O. R-1282. Оp. 2. D. 244. L. 100-101. ?ber die Bedeutung des Kosmos in antireligi?ser Propaganda siehe auch: Panfilova T., Skrebickij M. (Hrsg.) Sputnik ateista. M, 1961. S.362, 365-366.
29. So, z.B., in dem Artikel ??eljabinsker Pioniere ? dem Pionier des Kosmos? ging es um eine Initiative eines Rats der Pioniergruppe der Schule ? 59 einen Brief an Jurij Gagarin zu schreiben. Siehe: ?eljabinskij rabo?ij. 1961. 16. April; Das Bild von Antwortbriefen von Kosmonauten ist im Museum der Schule ? 1 in ?eljabinsk aufbewahrt. Siehe: Bild ? 3.
30. Aus Moskau kam die Antwort mit Best?tigung, dass Mitgliedsauweise den Kosmonauten ?bergegeben wurden. Siehe: ?eljabinskij rabo?ij.1963. 13. April.
31. Aus einer Gratulationsrede an Sch?ler zum ersten Schultag. Zitat: Murzilka. 1962. ? 9. S. 2.
32. Murzilka. 1958. ? 2. S. 14.
33. Murzilka. 1960. ? 11. S. 7.
34. Es ist sch?n ? zu leben und zu glauben. / Vor uns ? niedagewesene Wege sind: / Wie Kosmonauten und Tr?umer behaupten, / da? auf dem Mars Apfelb?ume bl?hen werden. Muradeli V., Dolmatovskij. Siehe Webseite:
http://www.sovmusic.ru/download
35. OGA?O. R-1282. Оp. 2. D. 230. L. 1-9.
36. ?ber detaillierte Beschreibung des Konstruierens kindlicher Lebenswelt siehe: Osorina M.V. Sekretnyj mr detej v prostranstve mira vzroslych. Sankt Petersburg, 1999. S. 11-13.
37. Belen?kij E. Reporta? ? 1 sove??anija planet solne?noj sistemy. // Ural?skie ogon?ki. 1959.? 1(11). S. 40.
38. Schaffung einer Zeichnung st?tzt sich auf optische, r?umliche, kognitive und affective Erfahrungen einer Pers?nlihkeit. Dar?ber siehe: Rei? W. Zur Produktion und Analyse von Kinderzeichnungen // Friederike Heinzel (Hrsg.). Methoden der Kindheitsforschung. Ein ?berblick ?ber Forschungszug?nge zur kindlichen Perspektive. Weinheim u. M?nchen, 2000. Об этом также см.: Rei? W. Die Kindererziehung. Wege zum Kind durch seine Zeichnung. Neuwied, Kriftel, Berlin, 1996; Kl?ger M. Das Bild und die Welt des Kindes. Ein monographischer Bericht ?ber die Bilder zweier Kinder vom 2. bis zum 14. Lebensjahr. M?nchen, 1974. S.
39. Freie Texte von Kindern werden als ?dauernd fixierte Lebens?u?erungen?(Diltey) verstanden. R?hner C. Freie Texte als Selbstzeugnisse des Kinderlebens // Friederike Heinzel (Hrsg.). Methoden der Kindheitsforschung ... S.
40. Dem Thema Kosmos in sowjetischer bildender Kunsttradition und seiner Rolle in sowjetischer Konsumkultur ist ein Artikel von M. R?thers gewidmet. Siehe: R?thers M. Detstvo, kosmos I potreblenie v mire sovetskich izobra?enij 1960-ch gg.: k voprosu o vospitanii optimizma v otno?enii budu??ego // O?e- vidnaja istorija. Problemy vizual?noj istorii Rossii XX stoletija: Sammelband. ?eljabinsk, 2008. S. 451-472.
41. Bild. ? 4. Murzilka. 1959. ? 4. S. 22.
42. Das Bild des Raumschiffes ?Vostok? siehe auf der Web-Seite: http://www.fotopiter.ru/photo/309009/
43. Bild ? 5. Мurzilka. 1959. ? 4. S. 22- 23.
44. Balakina О. Тaniny me?ty // Ural?skie ogon?ki. 1959. ? 1(11). S. 24.
45. Ibid.
46. Мurzilka. 1961. ? 11. S. 3.
47. OGA?O. R-1282.Оp. 2. D. 244. L. 111.
48. Aus dem Interview mit A.Bergman. Aufgenommen am 19.01.2009.
49. Ibid.


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