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Archive - Wenn ich gro? bin, werde ich Kosmonaut! - Comments

Larisa Konovalova - 23.09.2009 21:32
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ich m?chte mich bei allen Teilnehmern der Diskussion ?ber mein Text f?r wertvolle Ratschl?ge und Ideen bedanken und im Vorgang des neuen Kolloquium-Saisons den Schlu?kommentar schreiben.
Zuerst komme ich zur Pr?zisierung einiger Begriffe. Unter ?Kosmoskult? verstehe ich ein kulturelles Produkt, das sich infolge zahlreicher offizieller Ma?nahmen, ausgerichteten auf Ritualisierung des Kosmos, herausgebildet wurde. Dies war dem Ziel sozialer Erziehung und Kontrolle untergeordnet. In moderner Filmkunst wurde der Kosmoskult anschaulich in einem Film von Regisseur Wolfgang Becker ?Good bye, Lenin!? dargestellt.
Sowjetische Kinder erf?hlten eine besondere ?Agentenmission?, die in einer Botefunktion zwischen Gegenwart und gro?er kommunistischen Zukunft der Sowjetunion bestand und womit bestimmte soziale Verantwortung und Erwartungen verbunden wurden.
Der Schl?sselpunkt der Diskussion war die Frage ?ber Zeitrahmen, die bisher f?r mich offen bleibt. Zum einen, erweckt das Thema Kosmos das Aufmerksam der Gesellschaft und Machtstrukturen, was auch heutzutage breite M?glichkeiten f?r Spekulationen jeder Art bietet. Also, es scheint gerecht, ?ber die Transformation des Kosmoskultes von seiner Agiotage bis zum Vergessen und dann bis zum heutigen Existieren in allt?glicher Wahrnehmung zu reden. 1950-1960-е Jahren sind darum von gro?em Interesse, weil die Euphorie der Neuentdecker den h?hesten Punkt erreicht hat und mittels Propaganda den gr??ten ?Gewinn? gebracht hat. Immerhin scheint mir die Idee von Igor? Narskij ?ber das Verbundensein der Zeitrahmen mit der ?Bahn? der Kinderpolitik am meisten ?berzeugend zu sein.
Ich habe absichtlich Kleinkinder aus dem Forschungsobjekt ausgeschlossen, weil anhand zug?nglicher Quellen l??t diese Altersgruppe den Kosmoskult aus ?Kinderperspektive? kaum rekonstruieren.
Mehrere Fragen und Kommentare betreffen die Auswertung einiger meiner Quellen. Die meisten beziehen sich auf Interviews und Arbeit mit Kindheitserinnerungen. In urspr?nglicher Projektpr?sentation wurden 40 breitangelegte Interviews geplant. Sp?ter aber bin ich auf das Problem der Systematisierung und Auswertung inhaltlich unterschiedlicher Materials gest?tzt, das mich weg von genereller Hypothese f?hrte. Darum begrenze ich mich mit Zitaten bedeutender Fragmente, die doch eher zweitrangige Rolle neben anderen Quellen spielen. Aber ich m?chte mich doch zum Erz?hlen von einem Gespr?ch mit einem Informanten verleiten lassen. Er und seine Schulkameraden standen in erster Reihe w?hrend einer Demonstration am Roten Platz in Moskau und haben auf den ersten Kosmonaut, der aus dem Dienstwagen zum Publikum aussteigen musste, gewartet. Zur gro?en ?beraschung und Verlegenheit des Geschehens, wurde das T?rfenster in dienstlicher ?Wolga? aufgemacht, wenn Gagarin (wahrscheinlich hat er sein Anzug in Orgnung gemacht) aus dem Auto mit dem Hinten nach vorne ausgeschtiegen ist. Der Erz?hler berichtete mir ?ber diese, scheinbar allt?gliche Situation, mit gro?em Entz?cken, weil er der Augenzeuge der ?Verwandlung? des Helden in einen einfachen Menschen war.
Meine Suche nach Quellen pers?nlicher Herkunft (Tageb?cher, Aufs?tze, Briefe in die Zeitungsverlage) war nur teils erfolgreich. Ich habe Briefe von Kindern in die Zeitung ?Pionerskaja prawda? gefunden. Aber sie sind ziemlich schablonenhaft, was, leider, Pers?nlichkeiten ihrer Autoren versteckt. Was Zeitungen und Zeitschriften betrifft, habe ich nur am meisten verbreiteten und auflagestarken gew?hlt.
Die Frage ?ber institutionale Formung des Kosmoskultes f?r Kinder kann aufgrund fehlender Archivalien, wie Vorschrifften von Gorispolkom oder Bildungsverwaltung (GorONO) nur teilweise beantwortet werden. In der Anweisungsliteratur f?r Hausverwaltungen zur Gestaltung der Spielpl?tze gibt es keine Schemata, wie man, z.B., ein Rakete-Kletterger?st installiert. Dies l??t sich ?ber Eigeninitiative der Verwaltung und gesellschaftlicher Vereine resumieren, denen schon erbrobte Vorbilder zur Verf?gung standen. So der Klub zuk?nftiger Kosmonauten zwar seine eigene Symbolik und einige Hunderte Teilnehmer hatte, kann kaum als know-how betrachtet werden. Immerhin der Fakt der Erscheinung solcher Klubs macht anschaulich, wie schnell und flexibel das ganze Propaganda- und Bildungssystem auf politische ?nderungen reagierten.
Letzlich m?chte ich die Bemerkung ?ber meine Teilnahme an ?globalisierung? des Kosmoskultes kommentieren. Die Befragung der Kinder im Alter von 11 bis 15 Jahre, die 1966 von Akademie gesellschaftlicher Wissenschaften durchgef?hrt wurde, zeigte, da? das Traum ein Kosmonaut werden unter drei Favoritpositionen neben dem Beruf des Seemannes und Fliegers vetreten war. Interessant ist auch, dass der Beruf des Arztes von Kindern nicht genannt wurde.
Im ?bergang zum Schlu?teil des Textes m?chte ich bemerken, da? eure Kommentare und Recherchen in Zentralarchiven werden mir helfen, meine Schlu?folgerung deutlicher zu formulieren und ausreichende Argumentation beizuf?gen.





Julia Richers - 27.05.2009 18:41
Liebe Larissa Konovalova,

Ich stimme Ihren Ausf?hrungen, der alltagsgeschichtlichen Ausrichtung Ihres Forschungsprojektes und ihren Thesen weitgehend sehr zu. Auch danke ich Ihnen f?r die fabelhaften Kinderquellen, die nicht nur zum Lachen verleiten, sondern tats?chlich tiefe Einblicke in die Kinderwelten aber auch in gesellschaftliche (Disziplinierungs-)Prozesse geben. Insgesamt ist der Text unglaublich dicht, enth?lt auf wenig Raum viel zu viele verschiedene Diskussionsstr?nge (Kindheit, Gagarinkult, Rituale, Avia- und Kosmosklubs, Chruscevs antireligi?se Kampagne); hier w?rde ich an Ihrer Stelle das Ganze etwas entzerren und den einzelnen Aspekten mehr Platz zur Ausf?hrung geben. Sie sprechen oft von ?Inszenierungen?; hier w?rde sich eine weitere analytische Vertiefung, beispielsweise mithilfe des Begriffs der Performanz, lohnen. Auch fehlen mir genauere Ausf?hrungen zum Spannungsverh?ltnis zwischen Inszenierung ?von oben? und der kindlichen Unverbl?mtheit, d.h. der partiellen Unkontrollierbarkeit der Kinder.

Nun noch zu einzelnen Aspekten des Textes:

- Sie benutzen bewusst die Bezeichnung ?Kosmoskult?. Weshalb Kult? Was verstehen Sie unter Kult?

- Zur konstruierten Verbindung zwischen Kindern, Kosmos und Zukunftsoptimismus kann ich Monica R?thers neusten Artikel empfehlen: R?thers, Monica: Kindheit, Kosmos und Konsum in sowjetischen Bildwelten der sechziger Jahre. Zur Herstellung von Zukunftsoptimismus. In: Historische Anthropologie, 1 (2009) S. 56-74.

- Zu den neu gegr?ndeten Kosmonautenklubs: Mir ist anhand Ihrer Ausf?hrungen nicht klar, was denn genau der qualitative Unterschied zu den bereits seit langem existierenden Aviaklubs (Klubs der OSOAVIAChIM und des Komsomol) war.

- Auf S. 1 unten sprechen Sie von ?Agentenmission?. Was ist damit gemeint?

- Auf S. 4 sprechen Sie davon, dass f?r Kinder Informationen zur Raumfahrt zensiert wurden. Das galt jedoch nicht nur f?r Kinder. Die teils abstruse Geheimhaltungspolitik betraf auch Erwachsene.

- Zu Ihrem Schlussparagraphen: Ich sehe das Ende der Raumfahrt?ra etwas anders. Meines Erachtens haben eine Reihe nah aufeinander folgender Ereignisse zu einem allgemeinen Desinteresse und einer Desillusionierung gegen?ber der Raumfahrtthematik gef?hrt: Absetzung des gr?ssten Raumfahrtbef?rworters Chruscev (1964), Tod des wichtigsten Chefkonstrukteurs Korolev (1966), Unfalltod Gagarins (1968) sowie der Schock ?ber die amerikanische Mondlandung (1969). Mit Beginn der 1970er Jahre war der Kosmoskult dann vollends vorbei.

Herzliche Gr??e aus Basel
Julia Richers

Laura Polexe - 27.05.2009 18:37
Die Lekt?re und Diskussion des Artikels in unserem Basler Kolloquium war sehr interessant und gewinnbringend.
Im Gespr?ch wurden verschiedene Aspekte speziell diskutiert, die nachfolgend in f?nf Punkten dargelegt werden.

1. Vorgeschichte des Kosmoskultes
Der Artikel legt die Urspr?nge der Kosmosbegeisterung in der Evolution des alten Traumes vom Fliegen sch?n dar. In diesem Zusammenhang scheint die Erw?hnung der Kontinuit?t des Kosmoskultes im Rahmen des sowjetischen utopischen Fortschrittsoptimismus (Klassenlosigkeit, Schwerelosigkeit, Biokosmismus, d.h. Grenzen ?berwinden, die Welt erobern und den Tod ?berwinden) besonders wichtig. Hier w?re auch die Kosmosbegeisterung als Religionsersatz zu nennen, was im Artikel mit der Umwandlung des Nevskij-Klosters in ein Planetarium bereits angedeutet wird.

2. Kindliche Begeisterung vs. staatliche Instrumentalisierung

Wie der Artikel ausf?hrt, gab es einerseits eine genuin kindliche Begeisterung f?r den Kosmos, andererseits aber auch eine gezielte propagandistische F?rderung derselben. Die Grenzen dieser zwei Bereiche scheinen schwer zu definieren und zu beschreiben. Dies ist festzustellen an der Problematik des Quellenmaterials (Zeichnungen und Briefe) aus Kinderzeitschriften, die ? wie die Autorin feststellt ? durch die Herausgeber einer Zensur unterliegen. Das zeigt die Untersuchung des Inhalts, der stark kanonisiert scheint.
In diesem Sinne w?re es interessant zu wissen, ob im Archiv der jeweiligen Publikationsorgane unver?ffentlichtes, bzw. abgewiesenes Material vorhanden w?re. Wobei auch dabei zu beachten ist, dass bei Materialien (Briefe oder Zeichnungen), die im Schulzusammenhang oder in organisierten Freizeitaktivit?ten entstanden sind, eine Zensur/Steuerung durch die Lehrkraft nicht ausgeschlossen werden kann. Das k?nnte mit privatem Material umgangen werden, wobei nat?rlich hierbei die Auffindung des Materials schwierig bis unm?glich ist.

Die Gruppe war in der Diskussion ?ber den Grad der Beeinflussung der Kinder in ihrer Kosmosbegeisterung durch die Propaganda geteilter Meinung.

Einige betonten die zeitlose Begeisterung von Kindern f?r den Kosmos und schlugen vor, dass man das Gewicht dieses Anteils anhand von Studien ?ber die Kosmosbegeisterung von Kindern in anderen L?ndern beurteilen k?nnte (z.B. in den USA nach 1969). M?glicherweise w?re es in diesem Zusammenhang auch interessant, die kindliche Begeisterung zu vergleichen mit Studien ?ber die Begeisterung Erwachsener f?r den Kosmos.
Es wurde davor gewarnt, die Bedeutung der Propaganda zu ?bersch?tzen. Zudem wurde angemerkt, dass in den L?ndern des Westblocks wohl die Faszination der Kinder f?r verschiedene ?Moden? ebenfalls mitgesteuert wurde: durch Marketingabteilungen anstelle des Propagandab?ros.
Ausserdem wurde betont, dass es wichtig sei, die ?kindlichen Universalien? nicht zu vergessen, z. B. die im Artikel erw?hnte durchgehende kindliche Gr?sse der auf den Zeichnungen abgebildeten Personen und andere Erkenntnissen aus der Kinderpsychologie.

Andere legten Wert auf die Instrumentalisierung des Kosmoskultes im Schulunterricht, die ja durch die Entstehung vieler der zitierten Quellen im Klassenzimmer belegt wird. So sei der Kosmoskult eingesetzt worden als Mittel zur Motivation der Kinder in der Schule, welche eine grosse Rolle gespielt habe. Hier liesse sich auch bei den Interviews vertiefend einsetzen mit der Frage nach schulischen Aktivit?ten wie kosmonautischen Rollenspielen im Unterricht und auf dem Pausenhof.

3. Kollektive Erinnerung in den Interviews
Der Ansatz der Interviews wurde ?bereinstimmend als besonders interessant bewertet. Eine Erweiterung der Darlegung der Ergebnisse der Interviews k?nnte gewinnbringend sein. Die geringe Bedeutung des Kosmoskultes in der Erinnerung der Interviewten l?sst sich vermutlich auf einen kollektiven Erinnerungskanon zur?ckf?hren, der sich im Laufe der Jahre, wohl nicht zuletzt wegen dem R?ckstand im Wettlauf gegen die USA, entwickelt hat. Diesen zu durchbrechen d?rfte nicht einfach sein. Das bereits erw?hnte Problem der Grenzziehung zwischen kindlicher Begeisterung und staatlicher Propaganda l?sst sich deshalb ?ber die Interviews nur schwierig l?sen. Trotzdem k?nnte man versuchen, Interviews, wie auch Quellenmaterial, sprachpragmatisch zu untersuchen, um so Abweichungen von der standardisierten Erinnerung herauszufiltern. M?glicherweise k?nnten auch Interviews mit den Eltern der ?jungen Kosmonauten? der 60er Jahre gef?hrt werden, die aus ihrer Erwachsenenperspektive einiges zur Fragestellung beitragen k?nnten. Eine andere Quelle f?r Informationen zum Kosmoskult w?re vielleicht die Untersuchung von Autobiographien, in diesem Zusammenhang ist diejenige von Prof. Narskij zu nennen.

4. Genderfrage
Ein Thema, das anhand von einigen Punkten aufgegriffen wurde ist die Genderfrage, die im Artikel anget?nt wird und f?r weitere Forschungen interessant sein k?nnte.
Anhand der unterschiedlichen Berufsw?nsche von M?dchen und Knaben, die im Artikel genannt werden, wurde gefragt, wie denn die W?nsche z.B. in den USA seien und was es bedeute, dass die M?dchen ausgerechnet ?rztinnen werden wollten. Welches Prestige hatte dieser Beruf? Ver?nderten sich diese W?nsche nach Tere?kovas Flug ins All? Und gab es in Anlehnung an all die kleinen Jurijs nach Tere?kovas Flug viele kleine Valentinas?

5. Sonstiges
Besonders gelobt wurde die tolle Dokumentation in den Fussnoten. Die Menge an Quellenmaterial ist beeindruckend und klar nachvollziehbar, die Links funktionieren einwandfrei.
Es wurde angeregt, neben der Zeitschrift Murzilka auch die Vecelye kartinki einzubeziehen, was die breite Quellenpalette m?glicherweise noch bereichern k?nnte.
Weiter wurde vorgeschlagen, die historischen Eckdaten der sowjetischen Raumfahrt deutlicher zu nennen und welche Rolle diese Ereignisse im Weltgeschehen spielen.
In der abschliessenden Diskussion ?ber den Inhalt des Artikels wurde die spannende Forschungsfrage hervorgehoben und die Umsetzung dieses methodisch schwierigen Themas als ?usserst wertvoll betrachtet. Eine Fortf?hrung scheint unbedingt lohnend. In der Diskussion wurden viele Punkte angesprochen, die hinsichtlich der K?rze des Artikels keine tiefgehende Bearbeitung aufweisen konnten, die aber in weiterf?hrenden Projekten m?glicherweise gewinnbringend sein k?nnten.

Im Namen der Teilnehmer des Kolloquiums
Carla Cordin und Davina Benkert

URC FREEnet

coordinators of the project: kulthist@chelcom.ru, webmaster: