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Tscheljabinsk 1957: Wissen und Kommunikation ueber die Katastrophe

23.02.2014, 10:49

Laura Sembritzki (Heidelberg)


Dem durchschnittlichen Einwohner der Sowjetunion war bis in die 1980er Jahre in einem Land, das seine Helden der Wissenschaft und Technik wie kaum ein anderes zu inszenieren wusste, die Errungenschaften des sowjetischen Atomprojekts, seine Wissenschaftler innen kurzum das gesamte ?wei?e Archipel" (1) der Atomstaedte und dessen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt, unbekannt. Obgleich sich zugespitzt die Forschungslage auf diese Weise zusammenfassen laesst, fragt der hier vorgestellte Text zu dem Dissertationsprojekt ?Celjabinsk 1957: Wissen und Kommunikation ueber die Katastrophe", nach Wissen(sbestaenden), die beispielsweise in Forschungsinstituten oder innerhalb der regionalen und lokalen Bevoelkerung produziert, kommuniziert und tradiert wurden. Das Forschungsinteresse gilt einem ?unterworfenen Wissen?, einem formal wie funktional verschuetteten Wissen, sowie einem ?Wissen der Leute? (2) Wissen wird dabei als soziales wie historisches Phaenomen verstanden, das sozial konstruiert sich reziprok zur Gesellschaft verhaelt. Wissen ist damit nicht richtig oder falsch, bildet keine Wahrheit oder Wirklichkeit ab, auch wenn es in der jeweiligen historischen Situation den Anspruch erhebt wahr zu sein. (3) Zusammenfassend: Kein normatives oder erkenntnistheoretisches Verstaendnis oder Interesse von bzw. an Wissen wird dieser Arbeit zu Grunde gelegt.
Historischer UEberblick (4)
Die Stadt Celjabinsk-40, heute Ozersk, wurde ab 1948 innerhalb des militaerisch?industriellen Komplexes als eine so genannte geschlossene Stadt (im Folgenden: Atomstadt) errichtet und hat heute den Status eines ZATO (geschlossenes administrativ?territoriales Gebilde). Im in Celjabinsk-40 angesiedelten Chemiekombinat Majak wurde u.a. waffenfaehiges Plutonium fuer das sowjetische Atomwaffenprogramm hergestellt. Als Katastrophe wird dabei ausgehend von dem sich 1957 ereignenden Unfall mit Atommuell auch vorausgehende und nachfolgende schleichende und kumulative Verseuchung des Gebiets durch die in Celjabinsk-40 angesiedelte Atomindustrie in ihrem Zusammenhang verstanden. Im Folgenden wird nun kurz ein UEberblick ueber die drei ma?geblichen Verseuchungsquellen der Region gegeben, um dann Forschungsgegenstand und -fragen sowie erste Thesen kurz anzurei?en.
Mit der Inbetriebnahme des Radiochemischen Werkes Majak zur Herstellung von waffenfaehigem Plutonium in der geschlossenen Stadt Celjabinsk-40 wurde der anfallende fluessige Atommuell direkt und ungefiltert in den Fluss Teca abgeleitet. Diese Praxis fuehrte ueber den Zeitraum 1949-1951 zu einer immensen Verseuchung der Teca und zur Erkrankung von Bewohnern der an den Ufern liegenden Doerfer. Nachdem die Betriebsleitung 1951 darauf aufmerksam wurde und diese Informationen an das fuer die Atomstaedte zustaendige Ministerium fuer Mittleren Maschinenbau weiterleitete, wurden ab 1955 einige Doerfer flussabwaerts der geschlossenen Stadt Celjabinsk-40 evakuiert, andere allerdings nicht. Um eine weitere Verbreitung radioaktiver Partikel im Flusssystem ausgehend von der Teca zu verhindern, wurde dazu uebergegangen, zur Einleitung des Atommuells vom Fluss getrennte Kaskaden zu errichten. Dazu wurde unter anderem auch der natuerliche See Karacaj verwendet. Als dieser 1967 austrocknete, wurde ein Gebiet von 2.700 Quadratkilometern mit radioaktivem Staub kontaminiert. Das heute noch bekannteste Unglueck ist jedoch die Explosion von Atommuell im Herbst 1957. Im Gegensatz zu dem Ereignis von 1957 war das Einleiten von Atommuell in die Teca und die Lagerung von Atommuell in dem See Karacaj planvoll und systematisch und kann nur in den nicht intendierten Konsequenzen als Katastrophe verstanden werden. Am 29. September 1957 explodierte aufgrund eines technischen Versagens des Kuehl- sowie Kontrollsystems ein in der Erde versenktes, mit fluessigem Atommuell befuellter Behaelter. Etwa 20 Millionen Curie wurden dabei in die Luft geschleudert. Ein Gebiet von etwa 300 km Laenge und etwa 10 km Breite, in dem ca. 270.000 Menschen lebten, wurden in der Folge verseucht. Auch hier kam es zu Umsiedlungen von Doerfern, die sich ueber einen Zeitraum von 10 Tagen bis zu eineinhalb Jahren erstreckten.
Die Bewohner, die in den kontaminierten Gebieten wohnten wie auch diejenigen, die evakuiert und umgesiedelt worden waren, wurden von der Administration und der Partei in Unkenntnis ueber die Gruende der Evakuierung und Umsiedlung, d.h. ueber Gefahren und Ursachen sowie ueber die radioaktive Verseuchung an sich, gelassen. Die strenge Geheimhaltung der sich kumulierenden und ueberlagernden radioaktiven Verstrahlung folgte dabei der Logik der Geheimhaltungspraxis der geschlossenen Staedte (innerhalb des militaerisch-industriellen Bereichs) und des Kalten Krieges. Dabei kam es allerdings zu der paradoxen Situation, dass, der Westen' ueber die geschlossenen Staedte und die radioaktiven Verseuchung in Celjabinsk-40 besser informiert war (5) als die Sowjetgesellschaft selbst. Dieser waren die auf keiner Landkarte verzeichneten geschlossenen Staedte bis 1989 nicht bekannt. Erst etwa 30 Jahre nach der Explosion von 1957 wurde dieser Unfall im Verlauf der zweiten Haelfte des Jahres 1989 von offizieller Seite bestaetigt. (6) Interessanterweise erwaehnt der erste offizielle Bericht ueber den Unfall vom 29. August 1957 an die IAEA (vom 28. Juli 1989) nicht das Einleiten von radioaktivem Atommuell in die Teca und auch nicht das Austrocknen des Sees Karacaj 1967 als einen wesentlichen Bestandteil der allgemeinen und systematischen Verschmutzung des Gebiets und seiner natuerlichen Ressourcen. Nicht nur in dieser Hinsicht verharmloste der Bericht das Ausma? der radioaktiven Verseuchung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen fuer Umwelt und Mensch. (7)

Forschungsstand (Abriss)
Bis in die 1990er Jahre war Forschung zum sowjetischen Atomprogramm wie zur Umweltsituation in der Sowjetunion aufgrund der Unzugaenglichkeit des Quellenmaterials quasi nicht existent. Mit der OEffnung der Archive und der Veroeffentlichung von relevanten Daten durch Ministerien erschienen ab Anfang der 1990er Jahre eine ganze Reihe von - zumeist politik- und sozialwissenschaftlichen Studien - mit dem Ansatz einer umfassenden sowie mitunter auch (system-)erklaerenden Beschreibung der Umweltverstoerung in der Sowjetunion. (8)
Historische Arbeiten zum sowjetischen Atomprojekt entstanden, mit Ausnahme der fruehen Werke D. Holloways, ebenfalls erst seit den 1990er Jahren. Holloway selber verfolgt einen technikgeschichtlichen Ansatz und seine 1994 erschienene Studie Stalin and the Bomb gilt weiterhin als Standartwerk. (9) Im uns hier engeren interessierenden Kreis spielen jedoch vor allem russischsprachige Studien eine bedeutende Rolle. Zu nennen sind hier vor allem die Veroeffentlichungen der Celjabinsker Historiker V. Novoselov, V. Tolstikov und V. N. Kuznecov, die sich zu dem sowjetischen Atomwaffenprogramm im Ural einerseits und im Speziellen zu der geschlossenen Stadt Celjabinsk-40 forschen. (10) In den Studien bilden die geschlossene Stadt Celjabinsk-40, deren Einwohner wie die Arbeiterinnen und Arbeiter und die in der geschlossenen Stadt angesiedelte Industrie einerseits sowie die in der Region in Folge der radioaktiven Verstrahlung entstandenen Forschungsbereiche andererseits den Untersuchungsgegenstand.
Einen vergleichenden Ansatz verfolgt Kate Brown in ihrer im letzten Jahr erschienenen Studie: Untersuchungsgegenstand ist die us-amerikanische plutoniumproduzierende Stadt Hanford einerseits und C eljabinsk-40 andererseits. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, jedoch in staendigem Bezug aufeinander, wird der Bau der beiden Standort, die von den Bewohnern der Staedte ausgeuebten Berufe und deren gesundheitlichen Folgen, die von den Standorten ausgehende Umweltverstoerung sowie die soziooekonomische Ungleichheit beider Orte im Verhaeltnis zu ihrem Umfeld dargestellt. (11)

Ziel des Forschungsvorhabens
Das Vorhaben der Dissertation geht insofern ueber die bereits geleistete Forschung hinaus, als die in der Umweltgeschichte angesiedelte Katastrophengeschichte mit einer Wissensgeschichte verknuepft wird sowie einen lokalen und regionalen wie (vor allem dann in der Perestrojka) unionsweiten Kommunikationsraum zum Gegenstand macht. Indem Wissen ueber Katastrophen in seinen verschiedenen Formen betrachtet wird, kann in besonderem Ma?e deren Zusammenhang mit kulturellen und sozialen Prozessen sichtbar gemacht werden.
Im Rahmen der Fallstudie lassen sich dabei (vorlaeufig) folgende Formen des Wissens unterscheiden:
? Lokales/regionales Wissen/ Alltagswissen /?Wissen der Leute? Wissen, das gemeinhin in der Forschung als nicht wissenschaftlich klassifiziert wird, sowie eine in der Perestrojka sich entwickelnde Medialitaet des Wissens,
? Wissen in Form von administrativen und parteipolitischen Wissensbestaenden,
? sowie wissenschaftliches Wissen.
Diese Trennung in verschiedene Wissensformen kann natuerlich nur rein analytischen Zwecken dienen und nur idealtypisch sein. Die Frage nach moeglichen UEberlappungen,
Konkurrenzen und Beeinflussungen verschiedener Wissensformen und der sich dabei vollziehenden Umformung von Wissen soll damit nicht ausgeschlossen werden. Im sowjetischen Kontext erscheint Wissen ueber die nukleare(n) Katastrophe(n) als besonders bedeutend, da sowohl die Atomstaedte als auch die nuklearen Unfaelle in der Sowjetunion unter groe?ter Geheimhaltung standen. Bis zur Herrschaft Michail Gorbatschows und der von ihm initiierten Perestrojka beanspruchte der Staat das Monopol ueber die Konstruktion sowjetischer Realitaet, einschlie?lich einer Gefahrenrealitaet: Der Atomunfall von 1957 in Celjabinsk-40 wurde angesichts der gro?en symbolischen Bedeutung der Atomkraft fuer die Legitimation und das Selbstbild der Sowjetunion verschwiegen. (12) Der wissensgeschichtliche Ansatz eroeffnet dabei die Moeglichkeit Macht nicht ausschlie?lich politisch verfasst zu verstehen, sondern nach der ?Rekonstruktion der Herkunftsgeschichte [Genealogie] von Wahrheiten und Geltungsanspruechen" (13) als einer Geschichte von Machtverhaeltnissen zu fragen.

Offizielles Wissen vs. lokales/regionales/Spezialwissen
Trotzdem, so die These, bildete sich in der betroffenen Bevoelkerung ein Alltagswissen ueber die Katastrophe(n) (und UEberlebensstrategien) aus. Die Analyse von Alltagswissen fragt dabei nach Formen lokalen Wissens bzw. Wissensbestaenden und Handlungsformen. Wie wird die jeweilige Umwelt wahrgenommen und welche Praktiken wurden daraus abgeleitet, welche Erklaerungen wurden verinnerlicht, kommuniziert und gegebenenfalls weiter tradiert. Die Analyse von Formen von Alltagswissen wirft auch die Frage auf, wie Geruechte und Mythen entstanden und weiterbestanden, beziehungsweise wie die Geheimhaltung des militaerisch-industriellen Komplexes und die zeitgenoessische allgemeine Kenntnis ueber Radioaktivitaet zur Entstehung dieser beitrugen. Gerade dieser Aspekt von lokalen und regionalen Wissensbestaenden und die sich daraus ableitenden Handlungen sind bisher weitgehend Desiderat der Forschung.
Innerhalb dieser Formen von Wissen und ihrer Entwicklung koennen ferner folgende grundlegende Fragen sowjetischer Geschichte und Kultur diskutiert werden: Das
Verhaeltnis von Zentrum und Peripherie, das Verhaeltnis von OEffentlichkeiten und Geheimhaltung, das grundlegende Verhaeltnis von Wissen und Handlung sowie die diskursive Verhandlung von Natur und Gesellschaft.

Offizielles Wissen/'Geheimwissen'
In der sowjetischen Gesellschaft waren Formen von Wissen die innerhalb des Verwaltungsapparats und der Kommunistischen Partei entstanden sind von gro?er Bedeutung: Nach eigenem Selbstverstaendnis konstituierte die Partei nicht nur das Machtzentrum, durch welches die Sowjetunion regiert wurde, sondern behielt auch bis in die spaeten 1980er Jahre das Informations- und damit Wissensmonopol. Innerhalb der Strukturen bildete sich eine eigene Hierarchie von Wissensbestaenden aus, die sich in verschiedenen Stufen von Geheimhaltung und codierter Information ausdifferenzierte. Ein weiterer Aspekt bezueglich der parteipolitischen und administrativen Formen des Wissens ist die Frage nach sozialer Praxis und Machtausuebung. So wurden beispielsweise etwa Gemeinschaften von Tataren und Baschkiren nach radioaktiver Verstrahlung anders als ethnisch russische Dorfteile nicht umgesiedelt. Eine zu stellende Frage waere, ob dies durch einen ?environmental racism" innerhalb der Partei- und Regierungsstrukturen zu erklaeren ist. Die heute von nicht umgesiedelten Opfern der radioaktiven Verstrahlung geaeu?erten Anschuldigen enthalten den Vorwurf, sie seien als ,Versuchskaninchen' fuer Langzeit-Studien in den Gebieten zurueckgelassen worden. (14) Daran anschlie?end ist grundsaetzlich zu fragen, inwiefern der sowjetische Staat die sowjetische Bevoelkerung mit der Schaffung von geographischen Raeumen mit hohem Gefahrenrisiko in zwei Gruppen aufteilte: Die Bewohner der Region wurden den potentiellen Gefahren einer atomaren Aufruestung ausgesetzt, die zugleich jedoch dem allgemeinem Schutz der sowjetischen Bevoelkerung dienen sollte. Anders gewendet: Die Folgen zur Erlangung eines allgemeinen Zieles hatten wenige zu tragen.

Wissenschaftliches Wissen
Des Weiteren scheinen die Wissensformen die innerhalb der (mitunter erst entstehenden)
Forschungsinstitute produziert wurden - obwohl formal ein Teil der Buerokratie - eine eigenstaendige Einheit zu bilden. Durch publizierte und nicht-publizierte Texte, die Struktur der naturwissenschaftlichen und medizinischen Forschung bzw. Forschungsausrichtung und deren Dissemination wie auch durch die Analyse der Entwicklung der Institutionen selbst moechte ich nach Zwaengen aber auch nach Freiraeumen der Forschung innerhalb der nach der Katastrophe im Sued-Ural entstandenen wie der mit Forschung beauftragten bereits existierenden Forschungsinstitute fragen. Dies betrifft vor allem die Forschungsinstitutionen in den Bereichen der Radiobiologie, der Radiooekologie und der Strahlenmedizin. Dabei wird zum jetzigen Zeitpunkt die These verfolgt, dass es keinen Mangel an der Datenerhebungen und Entwicklung von Perspektiven fuer den Umgang mit den Folgen der radioaktiven Verseuchung gab. Jedoch zirkulierte produziertes Wissen unter den spezifischen Bedingungen der strengen Geheimhaltung innerhalb des militaerisch-industriellen Komplexes und des sowjetischen Atomwaffenprogramms im Besonderen nur innerhalb gewisser Kreise - und jenseits dieser nur chiffriert. Insofern stellt sich die Frage nach der Logik dieser Wissensproduktion: Wann, warum und mit welchen Ziel wurde hier Wissen produziert, kommuniziert/zirkuliert oder geheim gehalten? Von wem wurde es eingesetzt und wem nuetzte es, bzw. welche Effekte hatte es? Welchen spezifischen Zwaengen unterlagen die Wissenschaftler und welche Freiraeume besa?en sie moeglicherweise trotzdem?
Vergangene Katastrophen in der Perestrojka
Die in der Perestrojka aufkommende unionsweite Berichterstattung ueber die Katastrophe(n) sowie die in Celjabinsk entstehende, sich zunehmend politisierende Umweltbewegung bilden eine weitere, neue Wissensform in der lokales und regionales, politisch-administratives und wissenschaftliches Wissen sich zunehmend verschraenkten und diskursiv ausgehandelt und politisiert wurden. Inwiefern dieses Wissen als ?Gegenwissen? gefasst werden kann, dass zur Herausbildung einer ?Gegenwirklichkeit? (15) fuehrte ist dabei eine der sich stellenden Fragen. Gefragt wird damit insbesondere auch inwiefern sich diese unter den Bedingungen von Glasnost' veraendernden (Wissens-)Bestaende auf das Verhaeltnis von Zentrum und Peripherie auswirkten.

Zentrum und Peripherie
Auf nationaler wie auf regionaler und lokaler Ebene trugen die Ereignisse von Celjabinsk-40, dem geplanten Neubau des Sued-Ural-Atomkraftwerks und C ernobyl' zu Entstehung und Politisierung einer Umweltbewegung bei, die bald in einigen Aspekten das Monopol der KPdSU und der Buerokratie herausforderte. Hier muss die Frage der Entstehung einer neuen oeffentlichen Sphaere, jenseits und zunehmend unabhaengig von den Institutionen der Partei und des Staates, angesprochen werden.
Dies eroeffnet, ausgehend von den Umwaelzungsprozessen der Perestroika-Zeit, gleichzeitig eine spannende postsowjetische Perspektive, die die rechtliche Dimensionen und die Frage von Kompensationsleistungen beruehrt, und deren Einforderung auch im Zusammenhang mit dem Entstehen eines neuen Staatsbuergerbewusstseins zu sehen ist: Die nach dem Ende der Sowjetunion aufkommenden Forderungen ehemaliger Liquidatoren und Betroffener, bzw. der Kampf um die Anerkennung eben dieses Status eroeffnet eine spannende Perspektive auf die vielfaeltigen Viktimisierungs- und Neuordnungsprozesse in Russland.

Anmerkungen

1 Vladimir Gubarev, Belyj archipelag stalina (Moskva, 2004).
2 Foucault, Vorlesung zum 7. Januar 1976, in: In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am College de France (1975-76), Frankfurt/M 1999, S. 15-16.
3 Siehe dazu u.a.: Philipp Sarasin, ?Was ist Wissensgeschichte?", IASL 36, Nr. 1 (2011): S. 159-172; Achim Landwehr, ?Das Sichtbare sichtbar machen. Annaeherungen an ,Wissen' als Kategorie historischer Forschung", in Geschichte(n) der Wirklichkeit. Beitraege zur Sozial- und Kulturgeschichte des Wissens (Augsburg, 2002), S. 61-89; Achim Landwehr, Hrsg., Geschichte(n) der Wirklichkeit. Beitraege zur Sozial-und Kulturgeschichte des Wissens, Bd. 11, Dokumenta Augustana (Augsburg, 2002); Wenngleich Vogels der Begriff von ?Wissen" sich von Sarazins und Landwehrs unterscheidet, ist ihnen die soziale Konstuktion von Wissen gemein. Jakob Vogel, ?Von der Wissenschafts- zur Wissensgeschichte. Fuer eine Historisierung der ,Wissensgesellschaft'", Geschichte und Gesellschaft 30, Nr. 4 (2004): S. 639-660.
4 Die folgenden Ausfuehrungen beruhen hauptsaechlich auf den Arbeite von Novoselov/Tolstikov, Kuznecov, sowie Michael R. Edelstein, Maria Tysiachniouk, und Lyudmila V. Smirnova, Cultures of Contamination: Legacies of Pollution in Russia and the U.S. (Amsterdam, 2007); und Russel J. Dalton u. a., Hrsg., Critical Masses. Citizens, Nuclear Weapons, ans Environmental Destruction in the United States and Russia, American and Comparative Environmental Policy (Cambridge/MA, 1999).
5So trat der sowjetische Dissident Z. Medvedev 1976 eine oeffentlich ausgetragene Kontroverse los, indem er den Unfall von 1957 in einem Artikel des populaerwissenschaftlichen Magazins New Scientist nennt. 1979 erscheint dann sein Buch ?Bericht und Analyse der bisher geheimgehaltenen Atomkatastrophe in der UdSSR". Als Folge gab das Department of Atomic Energy zwei Studien (1979 und 1982) in Oak Ridge und Los Alamos in Auftrag.
6 Auf der Sitzung am 3. Juli 1989 des Obersten Sowjets SSSR (erste Sitzungsperiode) zur Wahl des Stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats SSSR erlaeutert Rjabev L.D. ausgehend von einer Anfrage des Deputierten Naumov des Celjabinsker Oblast' die Einleitung von Atommuell in offene Gewaesser wie den Unfall von 1957. Siehe dazu: Bjulleten' ? 10 sovmestnogo zasedanija Soveta Sojuza i Soveta Nacional'nostej, 1989, S. 25-28. Am 18. Juli 1989 wurde der Tagespunkt ?o vzryve v kystyne v 1957g? auf einer gemeinsamen Sitzung aller Komitees des Obersten Sowjets behandelt. GA RF O P 9654 op. 7 d. 821 l. 133-135.
7 So spricht der offizielle Bericht von 2 Millionen Curie. Lediglich die Gefahren fuer Mitarbeiter sowie eine radioaktive Kontamination bestimmter Bereiche im Umfeld von Majak in den 1950er Jahren erwaehnt der Bericht. http://www.iaea.org/Publications/Documents/Infcircs/Others/inf368.shtml /> 8 Siehe dazu u.a.: Murray Feshbach und Alfred Jr. Friendly, Ecocide in the USSR. Health and Nature under Siege (London, 1992); D. J. Peterson, Troubled Lands. The Legacy of Soviet Environmetal Destruction (Boulder, 1993); Joan DeBardeleben und John Hannigan, Hrsg., Environmental Security ans Quality after Communism. Eastern Europe and the Soviet successor States (Boulder, 1995); Philip R. Pryde, Environmental Management in the Soviet Union (New York, 1991).
9 David Holloway, Stalin and the Bomb. The Soviet Union and Atomic Energy 1939-1956 (New Haven, 1994).
10 Vladimir N. Novoselov und Vitalij S. Tolstikov, Tajny ?sorokovki" (Ekaterinburg, 1995); Vladimir N. Novoselov und Vitalij S. Tolstikov, Atomnyj sled na Urale (Celjabinsk, 1997); Vitalij S. Tolstikov, Social'no-ekologiceskie posledstvija razvitija atomnojpromyslennoti na Urale (Istoriceckij aspekt) (Celjabinsk, 1998), http://www.lib.csu.ru/texts/diss/001407.pdf; Viktor N. Kuznecov, Istorija atomnogo proekta na Urale (Ekaterinburg, 2009); Viktor N. Kuznecov, Zakrytye goroda Urala (Ekaterinburg, 2008); Viktor N. Kuznecov, Atomnyjproekt. Za koljucejprovolokoj (Ekaterinburg, 2005); V M. Kuznecov, Radiacionnoe nasledie cholodnoj vojny (Moskva, 2006).
11 Kate Brown, Plutopia: Nuclear Families, Atomic Cities, and the Great Soviet and American Plutonium Disasters (Oxford, 2013).
12 Allerdings soll hier keine sowjetische Spezifik ausgemacht werden, da zeitgleich auch jenseits der Sowjetunion der Umgang mit (atomaren) Unfaellen und Verseuchungen hoch sensibel und restriktiv gehandhabt wurde. Tatsaechlich waere zu fragen, inwiefern der Kalte Krieg einen bestimmten Umgang mit Wissen um (Atom-)Katastrophen hervorgebracht hat.
13 Sarasin, ?Was ist Wissensgeschichte?", 172.
14 Siehe dazu u.a. Fauzia Bajramova, Jadernyj archipelag ili atomnyj genocidprotiv tatar (Kazan, 2005); Fauzia Bajramova, Tatarskaja Karabolka - 50 let v ob'jatijach smerti (Kazan, 2007).
15 Siehe dazu: Berger/Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt/M 2012(24).

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